Mehr Geld für geschiedene Frauen
Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgericht zu Betriebsrenten
Vor allem Frauen können bei der Scheidung künftig auf eine gerechtere Regelung ihrer Altersversorgung hoffen. Das Bundesverfassungsgericht verpflichtete mit seinem Urteil vom 26. Mai 2020 (Az. 1 BvL 5/18) die Familiengerichte, systematische Benachteiligungen bei der Aufteilung der Ansprüche im Scheidungsverfahren in Zukunft auszugleichen. Das hilft Frauen, deren Ex-Männern eine Betriebsrente zusteht. Bisher mussten sie wegen Besonderheiten bei der Berechnung zum Teil Verluste von mehreren hundert Euro im Monat hinnehmen.
Lässt sich ein Paar scheiden, werden die Rentenansprüche prinzipiell miteinander verrechnet. Das nennt sich Versorgungsausgleich und soll Ungerechtigkeiten beseitigen. Denn bei vielen Paaren bekäme der Mann als Hauptverdiener sonst viel mehr Rente als seine Frau, die sich vielleicht jahrelang zu Hause um die Kinder gekümmert hat.
Im Bereich der Betriebsrenten erhält die Frau - anders als bei allen anderen Renten - ihr Geld nicht automatisch vom selben Versorgungsträger, bei dem der Mann seine Rente hat. Seit einer Reform im Jahr 2009 dürfen die Ansprüche ausgelagert und an eine andere Unterstützungskasse übertragen werden - auch gegen den Willen der Frau. Fachleute sprechen von externer Teilung.
Der Gesetzgeber wollte damit die Arbeitgeber als Träger der betrieblichen Altersversorgung entlasten. Sie wären sonst gezwungen, wegen eines rein privaten Zerwürfnisses eine völlig fremde Person in ihr System aufzunehmen, die nie für sie gearbeitet hat.
Das Problem: Bei der Übertragung der Ansprüche auf den neuen Träger kommt es wegen der Zinsentwicklung der letzten Jahre oft zu deutlichen Verlusten. Das hat mit komplizierten Berechnungsmethoden zu tun. Im Ergebnis verliert der Mann die Hälfte seines Rentenanspruchs, bei der Frau kommt aber nur ein Teil davon an.
Das Oberlandesgericht (OLG) Hamm hatte das für verfassungswidrig gehalten und Paragraf 17 im Versorgungsausgleichsgesetz beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe zur Prüfung vorgelegt. Die OLG-Richter gehen davon aus, dass zwischen 2009 und 2017 mindestens 90 Prozent aller Geschiedenen mit einer externen Teilung Verluste hatten, in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle die Frauen. Der Paragraf 17 komme schätzungsweise bei jeder 20. Scheidung zur Anwendung. Bei durchschnittlich 170 000 Scheidungen im Jahr entspreche das im Zeitraum 2009 bis 2017 einer mittleren fünfstelligen Zahl.
Die Verfassungsrichter erklärten das spezielle Verfahren bei den Betriebsrenten zwar nicht für grundgesetzwidrig. Paragraf 17 könne verfassungskonform ausgelegt werden, urteilte der Erste Senat unter dem künftigen Gerichtspräsidenten Stephan Harbarth.
Diese Aufgabe fällt nun den Familienrichtern zu: Sie sollen in Zukunft ihren Entscheidungsspielraum voll ausschöpfen und für jeden Fall eine faire Lösung finden - wenn nötig, indem sie den Zinssatz bei der Übertragung der Ansprüche selbst korrigieren.
Dabei seien die Interessen des Mannes, der Frau und des Arbeitgebers zu berücksichtigen, sagte der Vorsitzende Richter Harbarth bei der Urteilsverkündung. Für vertretbar halten die Richter Transferverluste von maximal zehn Prozent. Sollte sich dies für den Arbeitgeber zu ungünstig auswirken, müsse er die Ex-Frau seines Mitarbeiters eben im eigenen System behalten.
Klaus Weil, Familienrechtsexperte des Deutschen Anwaltvereins, begrüßte die Korrektur grundsätzlich. »Für die Frauen ist es natürlich ein gutes Ergebnis«, sagte er. Er sieht aber auch viel Arbeit auf die Familienrichter zukommen. Diese müssten künftig wesentlich umfangreichere Prüfungen vornehmen. Das werde eine »enorme Aufgabe für die Familiengerichte, die mit dem Massengeschäft Versorgungsausgleich sowieso schon sehr belastet sind«. Der Rechtsexperte geht davon aus, dass die Richter das nicht immer allein schaffen und häufiger Sachverständige hinzuziehen müssen.
Frauen, deren Scheidungsverfahren bereits rechtskräftig abgeschlossen sind, hilft das Urteil nicht mehr. Laut Weil müssen sie mit den Verlusten leben. Die Entscheidung gelte nur für die Zukunft. dpa/nd
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