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Energiewende ohne soziale Verlierer

Anja Piel (DGB-Bundesvorstand) über Gewerkschaftspolitik in der Coronakrise und das Konjunkturprogramm

  • Jörg Meyer
  • Lesedauer: 5 Min.

Ist Ihr Amtsantritt beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) im Mai annähernd so gelaufen, wie Sie sich das vorgestellt haben?

Als ich im letzten Jahr gefragt wurde, ob ich mir diese Arbeit vorstellen kann, konnte ich nicht ahnen, dass mein Start mitten in diese Krise fällt. Aber selbst wenn ich in die Zukunft hätte gucken können: Ich hätte mich dafür entschieden. Ich empfinde es als ein großes Privileg, in einer Zeit an Bord zu kommen, in der die Gewerkschaften die Leitplanken in der Krise halten.

Was bringt Sie zur Sozialpolitik?

Meine sozialpolitischen Erfahrungen habe ich in der Kommunal- und Landespolitik gesammelt. Als Landesvorsitzende und Vorsitzende der Grünen Landtagsfraktion in Niedersachsen habe ich eng mit den Gewerkschaften zusammengearbeitet. Ich bin Sozialpolitikerin aus Überzeugung. Das ist ein wichtiger Punkt in meiner Biografie.

Das müssen Sie erklären.

Mein Vater hat in der Stahlbranche gearbeitet. Er war Betriebsratsvorsitzender in seinem Unternehmen und aktiv in der IG Metall. Wir hatten ein politisches Elternhaus und waren als Kinder schon gefordert, unsere Standpunkte zu vertreten. Fragen von Guter Arbeit, Gerechtigkeit, und welchen Anspruch ein Mensch nach einem Leben voller Arbeit auf eine gute Alterssicherung hat, haben mich früh bewegt. Und ich habe immer versucht, das in Politik umzusetzen.

Das Soziale wird zuweilen gegen das Grüne in Stellung gebracht. Was verstehen Sie unter sozial-ökologischem Wandel?

Als Gewerkschafter nennen wir das Transformationsprozesse. Für mich ist das der Aufbruch in neue, nachhaltige Technologien, die einerseits die Umwelt schonen, andererseits aber auch für die Umsetzung vernünftige Arbeitsverhältnisse brauchen. Eine Energiewende darf keine Verlierer auf der sozialen Seite erzeugen. Sonst funktioniert sie nicht.

Wie passt dazu das Trommeln des DGB für die Autokaufprämie?

Dass die Transformation zu einer klimafreundlichen Wirtschaft notwendig ist, steht für alle Gewerkschaften fest. Nur so können wir in Zukunft Beschäftigung sichern. Konjunkturmaßnahmen müssen im Einklang mit den Klimazielen stehen und sie müssen wirksam CO2 reduzieren. Wenn wir aber ganze Regionen und Branchen abhängen und Beschäftigte schulterzuckend in die Arbeitslosigkeit schicken, geben wir auch als Industrieland Handlungsmacht aus der Hand. Die Gewerkschaften haben sich deshalb eben nicht für eine bedingungslose Kaufprämie ausgesprochen, sondern für Kaufanreize, gekoppelt an verbindliche CO2-Reduktionen und für eine Eigenbeteiligung der Hersteller. Ob die beschlossene Mehrwertsteuersenkung dafür sorgt, unsere Mobilität auch umweltfreundlicher zu machen, da würde ich mal ein Fragezeichen dran machen. Die nimmt ja auch derjenige mit, der einen SUV mit hohem Verbrauch kauft.

Die Bundesregierung von Union und SPD hat mit den Sozialschutzpaketen Maßnahmen verabschiedet, um die Folgen der Corona-Pandemie abzumildern. Welche Maßnahmen begrüßen Sie?

Nehmen Sie alleine das Kurzarbeitergeld. Da hat die Politik auf die Gewerkschaften gehört. Durch die Kurzarbeitsregelungen wurden und werden Arbeitsplätze erhalten. Es wird aber auch weiterer Veränderungsbedarf durch die Krise sichtbar. Bei der mobilen Arbeit sehen wir, dass die nicht an sich gut oder schlecht ist, sondern erst mal ambivalent: Die Überlastung und die Entgrenzung des Arbeitsplatzes zu Hause, unter der viele Menschen leiden, braucht deshalb Begrenzungen. An dieser Stelle müssen gute Regelungen her. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil sieht nicht ohne Grund Handlungsbedarf.

Und wie soll er nach dem Wunsch des DGB handeln?

Der Unfallschutz für mobiles Arbeiten muss endlich vernünftig geregelt werden, Arbeits- und Ruhezeiten müssen eingehalten werden. Homeoffice muss freiwillig sein - in beide Richtungen. Das heißt: Wir brauchen Regeln, damit Beschäftige nicht einfach so nach Hause geschickt werden können. Und sie müssen das Recht haben, an ihren Arbeitsplatz zurückzukehren, wenn sie es wollen.

Welche Regeln finden Sie weniger gelungen?

Was auf jeden Fall wieder zurückgenommen werden muss, ist die Lockerung der Arbeitszeitregelungen. Während die Kolleginnen und Kollegen in den Krankenhäusern auf den Balkonen beklatscht wurden, wurden gleichzeitig die gesetzlichen Arbeitszeiten heraufgesetzt und die Ruhezeiten verkürzt. Als Gewerkschaften werden wir sehr genau darauf achten, dass das mit Fristende am 31. Juli wieder aufhört. Ruhezeiten sind in der entgrenzten Situation des Home-office für viele ohnehin schon schwer einzuhalten. Aber die Menschen noch länger arbeiten zu lassen, obwohl der Gesundheitssektor schon vor der Krise unter der Arbeitslast geächzt und gekracht hat, hätte fast toxische Wirkung. Hier müssen mehr Anstrengungen in Richtung Personalaufbau gehen.

Sie sind im DGB-Vorstand auch für Migration, Rassismus und Rechtsextremismus zuständig. Wie nehmen Sie die Demonstrationen gegen die Corona-Einschränkungen wahr?

Draußen sind eine Menge rechter Verschwörungstheoretiker unterwegs. Diese Demonstrationen sind für sie ein beliebtes Betätigungsfeld. Wir müssen einerseits mit berechtigten Ängsten umgehen und uns der Diskussion stellen. Wir müssen die Demokratie fördern und den Menschen vermitteln, dass sie selber etwas bewegen können. Ebenso wichtig ist es andererseits, den gefestigten Rechten und Verschwörungstheoretikern eine klare Grenze aufzuzeigen.

Sind Aussagen wie jüngst aus dem DGB, die Ablehnung der Autokaufprämie für Verbrenner könnte die AfD stärken, da hilfreich?

Bei den vergangenen Bundestags- und Landtagswahlen hat sich doch folgendes gezeigt: Menschen, die sich wegen drohenden Arbeitsplatzverlusts Sorgen um ihre Zukunft, die ihrer Kinder oder ihrer Region machen und die verunsichert sind, werden offener für die rückwärtsgewandten Botschaften der AfD. Die Rechtspopulisten tun so, als könne alles bleiben, wie es ist. Einige leugnen sogar den Klimawandel und den Handlungsdruck, der sich daraus ergibt. Aber niemandem ist geholfen, wenn wir wie das Kaninchen vor der Schlange sitzen. Wir müssen handeln, die Transformation gestalten und zukunftsfähig bleiben, um Arbeitsplätze zu erhalten.

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