Problematischer Korpsgeist

Einen Generalverdacht gegen deutsche Polizeibeamte gibt es nicht, meint Martina Renner

  • Martina Renner
  • Lesedauer: 3 Min.

Mit berechenbarer Regelmäßigkeit wird ein angeblicher »Generalverdacht« gegen die Polizei behauptet. Dabei ist auffällig, dass dieser vermeintliche Verdacht immer dann ins Feld geführt wird, wenn Skandale aus der Polizei bekannt werden. Die empörte Behauptung, es handele sich um einen Generalverdacht, hat dabei vor allem eine Funktion: von der Kritik und den kritisierten Missständen abzulenken, die Reihen zu schließen und so keine Angriffsfläche zu bieten. Dafür gibt es einen Begriff: Korpsgeist. Dieser Korpsgeist ist im Polizeidienst schon problematisch genug. Er verhindert Transparenz und Veränderung und sorgt dafür, dass diejenigen, die ihm trotzen und Probleme benennen, unter Druck gesetzt und zu Nestbeschmutzern gemacht werden. Diese Kultur ermöglicht rechte Netzwerke wie Nordkreuz oder die Bedrohungen gegen die Anwältin Seda Başay-Yıldız.

Mindestens genau so problematisch ist, dass sich große Teile von Medien und Politik von diesem Korpsgeist vereinnahmen lassen. Heimatminister Horst Seehofer (CSU) ließ über die »Bild«-Zeitung verkünden, er prüfe eine Anzeige gegen Hengameh Yaghoobifarah, der_die in einer satirischen Kolumne in der »tageszeitung« über die Frage schrieb, wie eine Gesellschaft aussähe, in der zwar die Polizei, aber nicht der Kapitalismus abgeschafft sei. Wenige Tage vorher teilte Seehofer als Reaktion auf das neue Berliner Antidiskriminierungsgesetz mit, das die Position von Betroffenen behördlicher Diskriminierung verbessern soll, keine Bundespolizist_innen mehr nach Berlin schicken zu wollen: »Ich kann meine Beamten nicht dieser Diskriminierung aussetzen.«

Es ist auch Ausdruck dieses Korpsgeistes, dass zwar parteiübergreifend die Auseinandersetzungen mit der Polizei in Stuttgart in den schärfsten Tönen verurteilt werden, die Möglichkeit, dass diese durch unverhältnismäßige, vielleicht sogar rassistische polizeiliche Maßnahmen ausgelöst wurden, jedoch kaum öffentlich diskutiert wird.

Dabei gerät ebenfalls aus dem Blick, dass kritische Distanz zur Exekutivgewalt für Abgeordnete nicht nur möglich sein sollte, sondern sogar zu den Aufgaben des Parlaments gehört. Und schließlich wirkt der Korpsgeist auch dort, wo er eigentlich kritisiert werden sollte: in der linksliberalen Presse, hier die tageszeitung, die im Format einer »innerredaktionellen Debatte« sehr öffentlich den rechten Shitstorm gegen Yaghoobifarah verstärkt hat.

All das ist Teil einer Verschiebung der Kräfteverhältnisse nach rechts. Nicht eine menschenverachtende Kolumne der hinlänglich bekannten Autoren, in denen Frauen, Marginalisierte oder von Rassismus Betroffene angegriffen wurden, hat den Innenminister auf den Plan gerufen oder hatte ähnlich starken Druck auf das entsprechende Medium zur Folge. Geschweige denn hatte sie dazu geführt, dass es in den jeweiligen Medien eine »innerredaktionelle Debatte« gegeben hätte.

Der Korpsgeist ist politisch bestimmbar. Er ist - unabhängig von den Leuten, die ihn ausüben - weiß, männlich und rechts. Er richtet sich gegen Linke, People of Colour, Schwarze Menschen oder Geflüchtete. Und er verdrängt, worüber wir eigentlich sprechen sollten: über rassistische Polizeigewalt, racial profiling und die Todesumstände von Oury Jalloh oder Amad A. Dringend sollten wir auf Grundlage einer externen wissenschaftlichen Untersuchung über politische Einstellungen in Polizei und Bundeswehr reden - gerade diejenigen, die stets einen Generalverdacht gegen die Polizei wittern, sollten daran ein Interesse haben.

Wir sollten über rechte Netzwerke in diesen Behörden sprechen, darüber, dass wir unabhängige Beschwerdestellen brauchen und darüber, dass Geheimdienste wie der Militärische Abschirmdienst und das Bundesamt für Verfassungsschutz immer wieder Teil des Problems sind und nicht Teil der Lösung. Und schließlich sollten wir mehr von den Menschen hören, deren Alltag von rassistischen Personenkontrollen bestimmt ist und die wirklich wissen, was es bedeutet, von einem Generalverdacht betroffen zu sein.

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