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Schlachtweltmeister BRD
Schweinefleisch und Hühner aus Deutschland sind weltweit ein Exportschlager
Die westdeutsche Fleischindustrie ist eine vergleichsweise junge Industrie. Traditionell wurde von örtlichen Metzgern für den heimischen Handel geschlachtet. Deutschland war aufgrund seines Klimas lange Zeit hauptsächlich Importeur von Agrarprodukten und im Export kaum tätig. Das änderte sich grundlegend durch neue Mastbetriebe: Strukturschwache Regionen wie das niedersächsische Emsland und »Zonenrandgebiete« in der östlichen Bundesrepublik nutzten die üppigen staatlichen Fördergelder, um Mastbetriebe aufzubauen. Das Emsland gilt heute als eine der wohlhabendsten Regionen Deutschlands. Später mästeten auch frühere Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPG) vor allem in Mecklenburg-Vorpommern Schweine, Rinder und Geflügel für den Weltmarkt.
Traditionell war Frankreich der größte Agrarexporteur Europas. Burgunderweine, Bressehühner und Briekäse wurden in kleinen Betrieben hergestellt und werden auch heute weltweit von Leckermäulern geschätzt. Seit den 1970er Jahren zogen die Niederlande mit ihren riesigen Treibhäusern nach. Später entdeckte Spanien den industriellen Anbau von Obst und Gemüse als Exportschlager.
Hierzulande ist die Landwirtschaft an sich kein bedeutender Wirtschaftsbereich. 2018 erwirtschaftete der Bereich laut Deutschem Bauernverband einen Produktionswert von 58,8 Milliarden Euro. Der Anteil an der Bruttowertschöpfung macht nur 0,9 Prozent und an den Erwerbstätigen rund 1,4 Prozent aus. Allerdings hängen an jedem Arbeitsplatz in der Landwirtschaft sieben weitere Jobs in den vor- und nachgelagerten Wirtschaftsbereichen, im sogenannten Agribusiness.
Der wichtigste Produktionszweig in der deutschen Landwirtschaft ist die Tierhaltung und -verarbeitung. Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland 3,5 Millionen Rinder und über 55 Millionen Schweine geschlachtet. Deutschland ist nach China und den USA der drittgrößte Produzent von Schweinefleisch der Welt. Die Zahl der getöteten Jungmasthühner, dem größten Zweig in der Geflügelmast, betrug rund 622 Millionen Tiere. Pro Verbraucher gerechnet dürfte Deutschland Schlachtweltmeister sein.
Während die »Rohware« auf dem Markt nach Cent berechnet wird, Nicht-Bio-Bauern also nur durch große Stückzahlen finanziell überleben können, findet das lukrative Geschäft in den Schlachtbetrieben und der Wurstverarbeitung statt. Die Konzentration in der Fleischindustrie nimmt seit Jahren zu. Allein die zehn größten Unternehmen der Branche erwirtschafteten nach Angaben des Fachblattes »Fleischwirtschaft« mittlerweile zusammen gut 21 Milliarden Euro Umsatz im Jahr.
Drei von vier Tieren werden in einem dieser Megabetriebe geschlachtet. Gut 40 000 der insgesamt 130 000 Beschäftigten kommen aus Osteuropa, vor allem aus Bulgarien und Rumänien. Werkvertragsarbeiter werden vor allem in der Schlachtung und Zerlegung eingesetzt. In der anspruchsvolleren, stärker regulierten Weiterverarbeitung steigt der Anteil sozialversicherungspflichtiger Beschäftigter laut der Gewerkschaft NGG auf fast 80 Prozent.
Dabei entfällt weit mehr als die Hälfte des Umsatzes der Fleischindustrie auf vier Konzerne: die niederländisch-deutsche Vion, die genossenschaftliche Westfleisch in Münster, Danish Crown und Tönnies. Das in die Corona-Schlagzeilen geratene Familienunternehmen steht unangefochten an der Spitze der Fleischkonzerne in Deutschland. Tönnies machte vergangenes Jahr eigenen Angaben zufolge 7,3 Milliarden Euro, was im Vergleich zu 2018 ein Plus von zehn Prozent war.
Dabei verarbeitete Tönnies, der auch in Dänemark oder China aktiv ist, allein in Deutschland 17 Millionen Schweine. Das Fleisch des Schlachtkonzerns findet sich hierzulande bei Aldi, Lidl und Co. Dazu kommen bekannte Marken, die über Supermärkte vertrieben werden, wie Gutfried, Redlefsen oder Zimbo. Die Hälfte seiner Fleischwaren exportiert Tönnies ins Ausland. Ein nicht unbeachtlicher Teil der Vorwürfe, heißt es in einer Branchenanalyse der NGG, seien den aktuellen Marktgegebenheiten zuzuordnen. »Die deutsche Besonderheit, möglichst wenig für Produkte zahlen zu wollen, prägt auch den gesamten Rohstoffkreislauf«. Und zwar von der Aufzucht über die Schlachtung bis in die Verkaufstheken.
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