Keine Verstaatlichung ist auch keine Lösung

Der Milliardär Heinz Hermann Thiele kann diesen Donnerstag den Rettungsplan für die Lufthansa verhindern

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 4 Min.

Vor rund einem Jahr diskutierte die Bundesrepublik wild über Vergesellschaftung. Zwei Personen hatten die Debatte angestoßen: Auf der einen Seite die Keksproduzentenerbin Verena Bahlsen, die mit ihrer Äußerung auf einer Hamburger Onlinemarketingkonferenz, es sei toll, Kapitalistin zu sein, und sie wolle sich eine Jacht kaufen, für viel Hass und Häme in den sozialen Medien sorgte. Auf der anderen Seite Kevin Kühnert, der in einem »Zeit«-Interview die Vergesellschaftung großer Konzerne ins Spiel brachte. »Warum sollen die Zehntausenden, die den Wert schaffen, mit einer aus Abhängigkeit heraus verhandelten Lohnsumme abgespeist werden?«, fragte damals der Jungsozialist rhetorisch.

Eine Familie hatte Kühnert dabei herausgehoben: Quandt/Klatten. Das Geschwisterpaar Susanne Klatten und Stefan Quandt gehört als Haupteigentümer des Autobauers BMW zu den reichsten Deutschen. Allein für 2019 erhalten sie knapp 800 Millionen Euro an Dividenden, während BMW Kurzarbeit und Entlassungen angekündigt hat.

Immerhin halten sich Klatten und Quandt als Unternehmer wenigstens zurück. Anders ist da Heinz Hermann Thiele. Der Haupteigentümer des Bremssystemherstellers Knorr Bremse und des Bahninfrastruktur-Unternehmens Vossloh stieg im März bei der wegen der Coronakrise ins Straucheln gekommenen Lufthansa ein. Mittlerweile hält der 79-jährige Milliardär 15,52 Prozent der Aktien und könnte den nach langen Verhandlungsrunden ausgehandelten Deal zur Rettung der Airline kippen.

Ende Mai hatten sich Konzernspitze, Bundesregierung und EU-Kommission auf ein Hilfspaket in Höhe von insgesamt neun Milliarden Euro geeinigt. Drei Milliarden sollen als Kredite über die staatliche Förderbank KfW fließen, der Rest hauptsächlich als stille Einlagen. Dafür soll der Bund zwei Sitze im Aufsichtsrat sowie 20 Prozent am Unternehmen erhalten, mit der Option, diese auf 25 zu erhöhen. Damit die EU wettbewerbsrechtlich grünes Licht gab, versprach Lufthansa, 24 Start- und Landerechte (sogenannte Slots) an den Flughäfen in Frankfurt am Main und München an die Konkurrenz abzugeben.

»Gemeinsam mit der Bundesregierung muss es unser Ziel sein, unsere Spitzenposition im globalen Luftverkehr zu verteidigen«, rief Lufthansa-Chef Carsten Spohr die Aktionäre auf, bei der außerordentlichen Hauptversammlung an diesem Donnerstag für das Rettungspaket zu stimmen. Andernfalls ist wieder offen, wie es mit dem Konzern weitergehen soll, dessen Barreserven immer mehr schwinden.

Was es Spohr besonders schwer macht, seinen Plan durchzubekommen: Bis Sonntag haben sich lediglich 38 Prozent des Kapitals zum virtuellen Eigentümerplenum angemeldet. Bleibt die Beteiligung unter 50 Prozent, muss eine Zweidrittelmehrheit für das Rettungspaket stimmen. Ansonsten ist es abgelehnt.

Der größte Aktionär Thiele kann das Rettungspaket mit seinen 15,52 Prozent also verhindern. Und diese Option hält er sich offen. In einem Interview vor einigen Tagen in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« kritisierte er, dass der oberste Manager Spohr und die Bundesregierung nicht genug auf ihn eingegangen seien. Vor allem aber stört ihn, dass er und die anderen Aktionäre angeblich »überfallartig damit konfrontiert« wurden, dass sie eine »erhebliche Verwässerung ihres Aktienwertes und damit einen Wertverlust ihres Eigentums akzeptieren sollen«.

Thiele bezieht sich damit auf die 20 Prozent am Konzern, die der Bund im Gegenzug zur Milliardenhilfe bekommen soll. Laut Thiele sind dies 2,56 Euro pro Aktie. Rein rechnerisch kann das stimmen, da der Bund formal nur 300 Millionen Euro für seinen Anteil zahlt. Jedoch fließen die restlichen 8,7 Milliarden Euro eben in Form von Krediten und stillen Beteiligungen. Und mit jedem Tag schwindet der Wert der Lufthansa. Mittlerweile liegt der Unternehmenswert bei nur noch rund vier Milliarden Euro. Als Investor hätte der Bund es also rein theoretisch mit den neun Milliarden mehr als zweimal kaufen können. So wird die Lufthansa seit Montag im Dax nicht mehr unter den 30 größten deutschen Konzernen gelistet.

Nichtsdestotrotz gab es am Montag offenbar ein Gespräch zwischen Thiele und der Bundesregierung. Was da besprochen wurde, ist nicht bekannt. Die Bundesregierung wollte das Treffen nicht kommentieren. Doch Finanzminister Olaf Scholz (SPD) wird nicht müde zu betonen, dass der Rettungsplan »wohlüberlegt« sei. Zu verhandeln gibt es also nicht wirklich etwas.

Die Lufthansa bereitet sich deshalb schon mal auf ein Scheitern des Rettungsplans vor. Man habe umfangreiche Vorbereitungen getroffen, um einen abrupten Stopp des Flugbetriebs zu verhindern, teilte Spohr am Wochenende der Belegschaft mit. In der verbleibenden Zeit bis zur Anmeldung einer Insolvenz würde man mit der Bundesregierung weitere Optionen besprechen. Im Raum steht eine Insolvenz in Eigenverantwortung, um die Lufthansa zu sanieren. Dies hätte für die Konzernspitze den Vorteil, dass sie leichter alte Schulden loswerden könnte und der Kündigungsschutz geschwächt wäre.

Übrigens forderte Linke-Co-Chef Bernd Riexinger im Zuge der Kühnert-Debatte bereits im letzten Sommer eine Verstaatlichung der Lufthansa. Aus der SPD gab es sofort Widerworte. »Wir brauchen grüne Marktwirtschaft, keinen grünen Staatskapitalismus. Der Staat sollte investieren, nicht wirtschaften«, schrieb damals der stellvertretende Fraktionschef Karl Lauterbach auf Twitter. Das war noch vor Corona und vor Heinz Hermann Thiele. Jetzt steht die Teilverstaatlichung wieder auf der Kippe. Doch keine Verstaatlichung ist eben auch keine Lösung.

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