Die Angst spielt mit

Der deutsche Handball arbeitet gerade an einem Überlebenskonzept.

  • Michael Wilkening
  • Lesedauer: 5 Min.

»Die Wahrheit«, sagt Frank Bohmann, »die Wahrheit kommt im Oktober.« Der Geschäftsführer der Handball-Bundesliga (HBL) weiß, dass das am vergangenen Mittwoch vorgestellte Konzept auf wackligen Beinen steht - und in erster Linie davon abhängt, ob die Liga Anfang Oktober tatsächlich wie vorgesehen mit Zuschauern ihren Betrieb wieder aufnehmen kann. Am 1. Oktober sollen die ersten beiden Handballligen in die neue Saison starten, die dem zeitlich engen Terminplan zufolge am 30. Juni 2021 endet. Nach dem vorzeitigen Saisonabbruch im April haben Klubs und Spieler nun eine Perspektive, wenngleich es noch viele offene Fragen gibt.

Aktuell erarbeitet die HBL ein Hygienekonzept, um die Wettbewerbe in der ersten und zweiten Liga durchführen zu können und - was ebenso wichtig ist - Zuschauer in den Hallen zuzulassen. Im Vergleich zum Fußball spielt das Eintrittsgeld für die Klubs eine deutlich größere Rolle im Gesamtbudget. Eine komplette Spielzeit ohne Zuschauer und die dann erwartbaren Rückgänge beim Sponsoring dürften nur die wenigsten Vereine wirtschaftlich wirklich überstehen. Mit einer Auslastung von etwa 50 Prozent der Hallenkapazitäten planen die HBL-Verantwortlichen derzeit zum vorgesehenen Saisonbeginn. »Das ist am Ende abhängig von den Gegebenheiten der Arenen vor Ort und den lokalen Gesundheitsbehörden«, sagt Bohmann. Eine enge Halle wie in Balingen ist mit großen Arenen wie in Mannheim, Kiel oder Berlin nicht zu vergleichen. Abzuwarten bleibt zudem, ob eine durchschnittliche Auslastung von 50 Prozent politisch durchsetzbar ist.

Grundlage der Planungen ist die derzeitige Entwicklung in der Coronakrise. Eine neuerliche Verbreitung des Erregers könnte alle Hoffnungen der Klubs und des Verbandes ganz schnell wieder zunichtemachen. »Wenn wir bis in den Januar ohne Zuschauer spielen müssen, hätten wir bei den Vereinen die nackte Angst«, sagt Bob Hanning, Manager der Berliner Füchse. Die nackte Angst vor dem Exodus. »Das wäre ganz schwer zu verkraften«, schiebt Hanning nach. »Das halten wir nicht lange aus«, weiß auch Bohmann. Ohne Zuschauereinnahmen und die damit in Zusammenhang stehenden Sponsoringerlöse wäre der Handball in Deutschland einfach nicht überlebensfähig.

Hilfe könnten die Vereine von staatlichen Stellen erhalten. In Berlin und anderen Bundesländern finden Gespräche statt, inwiefern die öffentliche Hand Profiklubs wirtschaftlich unterstützen kann. Zudem gibt es Überlegungen, dass der Bund einen Solidarfonds einrichtet, um dem professionellen Sport neben dem Fußball zu helfen. Im Verlauf der kommenden Monate, vor allem im Fall einer zweiten Pandemiewelle, könnte diese Option eine große Relevanz bekommen. »Der Austausch mit den politischen Stellen ist derzeit ein Haupttätigkeitsfeld«, sagt Bohmann. Im politischen Berlin wird versucht, Lobbyarbeit zu leisten, wenngleich die Möglichkeiten der Handballer dabei deutlich unter denen der Fußballer liegen.

Vielleicht hilft dem Handball der Umstand, dass er gemeinsam mit den Profiligen im Basketball und Eishockey agiert und deshalb eine stärkere Stimme erhält. »Wir sind dabei, ein Indoorkonzept mit dem Basketball und dem Eishockey auszuarbeiten«, berichtet Bohmann. In Zusammenarbeit mit diesen zwei anderen Hallensportarten soll das Konzept auf dem der Basketballer aufsetzen, die aktuell in München in einem Finalturnier ihren Meister ermitteln. Klar ist jedoch, dass die Planung deutlich komplexer sein wird, schließlich müssen Hygienestandards im Zuschauerbereich erstellt werden.

Unter anderem ist vorgesehen, nur personalisierte Tickets zu verkaufen, also im Regelfall nur Dauerkartenbesitzer in die Arenen zu lassen. Fans wird es vorerst nicht möglich sein, ihr Team auswärts zu begleiten. »Davon muss man ausgehen«, sagt Bohmann, der sehr auf eine sich weiter beruhigende Pandemielage hofft und in einem solchen Fall flexible Entscheidungen der Behörden einfordert: »Dann muss man kurzfristig weitere Lockerungen möglich machen.« Eine Lösung mit einer Teilauslastung der Hallen ist für die Handballvereine eine kurzfristig praktikable, aber keine dauerhaft funktionierende Variante.

Auf die Spieler wartet - ganz unabhängig von den äußeren Umständen - eine besondere Herausforderung. »Die kommende Saison wird mit Abstand die anstrengendste in meiner Karriere werden«, sagt Hendrik Pekeler vom THW Kiel. Da neben der Weltmeisterschaft im Januar in Ägypten im Juli 2021 auch das olympische Handballturnier in Tokio geplant ist, drohen Nationalspielern wie Pekeler zwei Jahre hintereinander ohne wirkliche Spielpause. Nach den Olympischen Sommerspielen schließt sich laut aktuellem Rahmenterminplan dann nämlich direkt die Bundesliga-Spielzeit 2021/2022 an. »Man wird eine gute Belastungssteuerung benötigen«, erklärt Pekeler: »Wie das komplett umgesetzt werden kann, da bin ich aber auch überfragt.«

Um die Einnahmeausfälle zu kompensieren, werden die Spieler, die bereits in der im April abgebrochenen Spielzeit 2019/2020 auf Teile ihres Gehaltes verzichtet haben, erneut Lohneinbußen akzeptieren. »Wir werden verzichten müssen«, sagt Pekeler. Wie beim in dieser Saison zum Deutschen Meister erklärten THW Kiel befinden sich alle Klubs und Spieler in Gesprächen, um tragfähige und für alle vertretbare Lösungen zu finden. »Uns wurde eine Zahl genannt, aber unterschrieben wurde noch nichts«, berichtet Pekeler vom Stand der Kieler Verhandlungen. Denkbar ist eine Lösung, wonach die Spieler auf einen Teil ihres Gehaltes verzichten und im Nachgang Bonuszahlungen erhalten, sollte sich die Einnahmesituation ihrer Vereine verbessern. In jedem Fall stehen die Handballer vor einer Spielzeit mit einer Extrembelastung durch nationale und internationale Aufgaben für die besten Spieler und sinkendem Einkommen. Das klingt nicht unbedingt erstrebenswert, aber für Pekeler ist die Sache klar. »Haben wir eine Wahl?«, stellt der Abwehrchef der deutschen Nationalmannschaft als Frage in den Raum.

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