Pflegepersonal pocht auf Versprechen
In Frankreich kämpfen Angestellte für mehr Geld, Personal und Technik im Gesundheitswesen
Mit einem landesweiten Aktionstag bekräftigen heute in ganz Frankreich die Beschäftigten des Gesundheitswesens ihre Forderungen nach mehr Geld, Personal und Technik. Nicht zuletzt erinnern sie die Regierung an ihre Versprechungen. Am selben Tag beginnen im Gesundheitsministerium Verhandlungen mit den Gewerkschaften über die Verteilung der sechs Milliarden Euro, die die Regierung für das Gesundheitswesen bereitgestellt hat und die vor allem für die Aufbesserung der Gehälter des Pflegepersonals gedacht sind. Das entspricht der Summe, die die Gewerkschaften gefordert hatten, allerdings nur für die öffentlichen Krankenhäuser. Nach dem Willen der Regierung soll die Summe jedoch unter den öffentlichen Krankenhäusern, Privatkliniken und Altenpflegeheimen aufgeteilt werden.
In der Hochphase der Coronakrise hatte Gesundheitsminister Olivier Véran wiederholt eingestanden, dass die Gehälter für Schwestern und Pfleger in Frankreich um 300 Euro unter dem europäischen Durchschnitt liegen, und versprochen, dass sie mindestens bis zu diesem Schnitt aufgebessert werden sollen. Das dürfte mit der jetzt angekündigten Summe unrealistisch sein. Darum wollen die besonders kämpferischen Gewerkschaften CGT, FO, SUD und UNSA mit dem heutigen Aktionstag den Druck weiter erhöhen. »Sechs Milliarden, das klingt zunächst gewaltig, aber genauer betrachtet ist das bei Weitem zu wenig«, sagt der Verhandlungsführer für die CGT, Patrick Bourdillon. Von den fünf großen Gewerkschaften im Gesundheitswesen beteiligen sich alle außer der reformistischen CFDT an den Aktionen. »Der abendliche Beifall für das Pflegepersonal war ja ganz nett, aber damit können wir nicht die Miete und fällige Rechnungen bezahlen«, sagt die Hilfsschwester Agnès K.
Am Aktionstag beteiligen sich auch Ärzte der beiden landesweiten Vereinigungen Inter-Urgences für die Notfallstationen und Inter-Hôpitaux für die öffentlichen Krankenhäuser. Sie haben keine Gehaltsforderungen, sondern wollen die Zusage, dass Krankenhäuser nicht mehr geschlossen und Betten nicht abgebaut werden. Sie fordern eine Wiederöffnung einiger in den letzten Jahren geschlossener Krankenhäuser. Die Coronakrise habe gezeigt, dass die finanziellen Mittel für das öffentliche Gesundheitswesen unzureichend sind, dass die Krankenhausbetten nicht ausreichen, moderne Technik für künstliche Beatmung fehlt und dass vor allem nicht genug Fachpersonal zur Verfügung steht.
Für die Gewerkschaften und die Ärzteverbände ist der Moment günstig, alle Forderungen auf den Tisch zu legen. Während der Coronakrise waren für alle die Mängel des Gesundheitswesens deutlich geworden, selbst die Regierung musste das eingestehen. In der breiten Öffentlichkeit wurde das Engagement hoch gewürdigt, mit dem die Ärzte und das Pflegepersonal die Corona-Epidemie bekämpft haben. Entsprechend groß ist jetzt das Verständnis für die Forderungen, und das muss die Regierung bei ihren Entscheidungen einkalkulieren.
Außerdem sieht sie sich in diesen Tagen vor einer weiteren Herausforderung. Vor knapp zwei Wochen hat Präsident Emmanuel Macron in Marcy bei Lyon ein Forschungszentrum des französischen Pharmakonzerns Sanofi besucht und damit endgültig einen Konflikt beigelegt, der vor Wochen durch die Äußerung des Vorstandsvorsitzenden ausgelöst worden war: Sanofi werde bei der Entdeckung eines Corona-Impfstoffs zuerst die USA beliefern, weil die sich finanziell an den Entwicklungskosten beteiligen. Jetzt brachte Macron einen staatlichen Zuschuss in Höhe von 200 Millionen Euro mit. Gleichzeitig wurde der Bau einer neuen Fabrik in Frankreich speziell für Impfstoffe angekündigt. Außerdem wird die Produktion des viel verwendeten Schmerzmittels Paracetamol komplett aus China nach Frankreich zurückverlagert. Das wurde von Präsident Macron besonders gewürdigt, denn das entspricht seiner während der Coronakrise geäußerten Absicht, das Land hinsichtlich wichtiger Medikamente autark zu machen.
Nach dieser fast schon idyllischen Begegnung muss es für Macron und die Regierung wie ein Schock gewirkt haben, dass Sanofi in der vergangenen Woche den Abbau von 1700 Arbeitsplätzen in Europa angekündigt hat, davon rund 1000 in Frankreich und mehrere Hundert in Deutschland. Von Regierungsseite wurde klargestellt, man werde »sehr genau darauf achten, dass dies nur durch das freiwillige Ausscheiden entsprechend abgefundener Mitarbeiter erfolgt«. Reine Entlassungen wären unvereinbar mit der Gewährung staatlicher Beihilfen, die in einem solchen Falle zurückgezahlt werden müssten.
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