Justizsenator kündigt Corona-Straferlass an
Verwaltung legt Konzept für Betrieb in Justizvollzugsanstalten unter Abstands- und Hygienebedingungen vor
Möglichst große Abgrenzung zur Außenwelt, wenig Zeit vor der eigenen Tür und nur Kontakt mit wenigen Personen in den eigenen vier Wänden. Betrachtet man die Ratschläge der Gesundheitsexpert*innen, sollte ein Gefängnis momentan der perfekte Ort sein, um die Corona-Pandemie zu überstehen. Die Justizvollzugsanstalten mussten trotzdem viele Abläufe grundlegend überdenken und verändern. Am Dienstagmorgen läutet der zuständige Senator Dirk Behrendt (Grüne) nun den Übergang zum »coronabedingten Regelbetrieb« ein. Gefangene dürfen wieder besucht, Strafen sollen wieder vollstreckt werden. Die Vorschriften werden - versehen mit Hygieneregeln - gelockert.
Zunächst jedoch eine Evaluation der bisherigen Politik: »Wir waren durchaus erfolgreich«, resümiert der Justizsenator die Maßnahmen, mit denen ein Ausbruch der Krankheit in den Gefängnissen vermieden werden sollte. Kein einziger Gefangener habe sich im geschlossenen Vollzug infiziert. Das ging nur mit harten Mitteln: In den Knästen gab es kaum Neuaufnahmen. Inhaftierte konnten keinen Besuch empfangen. Häftlinge, die mit Ersatzfreiheitsstrafen einsaßen, wurden freigelassen.
Wie die für den Vollzug zuständige Abteilungsleiterin Susanne Gerlach ausführt, seien »viele Abläufe in den Anstalten verändert worden«. Zentral sei es gewesen, Platz für mögliche Quarantänebereiche zu schaffen. 560 Personen können nun isoliert werden, falls eine Infektion festgestellt wird. Rund 3000 Personen sind aktuell inhaftiert. Erreicht wurde dies durch die Aussetzung und Aufschiebung des Vollzugs von Freiheits- und Ersatzstrafen. Besuche waren ab Ende März vollkommen untersagt. In den Anstalten sei die Möglichkeit geschaffen worden, über Videotelefonie mit Angehörigen zu kommunizieren. Diese Möglichkeit soll bestehen bleiben.
»Wir sind gut durch die Krise gekommen«, sagt Behrendt, der auch betont, dass die Pandemie noch nicht vorüber ist. Er berichtet von »positiver Stimmung« in den Anstalten: Die Mitarbeiter*innen hätten gute Arbeit geleistet und seien motiviert gewesen. Zudem hätten auch Gefangene eine Aussetzung der Besuche wegen des Gesundheitsschutzes gefordert. Es hätte aber auch Kritik an den Einschränkungen gegeben.
Die Quarantänebereiche in den Anstalten werden auch in den kommenden Monaten von Bedeutung sein: »Die werden wir auch dauerhaft benötigen«, sagt Gerlach. In diesen Bereichen möchte man die neuen Häftlinge erst einmal 14 Tage isolieren, wenn die Justiz ab dem 15. Juli die unterbrochene Vollstreckung wieder aufnimmt. Dann sollen auch wieder Freiheitsstrafen unter drei Jahren, Jugendstrafen unter zwei Jahren und Ersatzfreiheitsstrafen vollstreckt werden.
Dennoch braucht es weiter Platz, um gesetzliche Haftbedingungen wie den Hofgang auch unter Abstandsregelungen zu gewährleisten. Die Idee des Justizsenats: Straferlass unter bestimmten Voraussetzungen. Geldstrafen von maximal 40 Tagessätzen, Geldstrafen von maximal 90 Tagessätzen, die bereits zur Hälfte verbüßt sind oder bei denen die Gefangenen älter als 60 Jahre sind, wurden vom Justizsenator bereits erlassen. Damit, so hofft man, könne man die Kapazitäten dauerhaft erhöhen. Schwere Straftaten sind von dem Erlass ausgenommen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.