- Wirtschaft und Umwelt
- Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung
Grundrente behebt Altersarmut kaum
Johannes Geyer vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung über die Entwicklung der Rente
Am 1. Juli sind die Rentenbezüge um 3,45 Prozent im Westen und um 4,2 Prozent im Osten gestiegen. Wie wird sich der Abstand zwischen der Standardrente und der Grundsicherung Ihrer Analyse nach entwickeln?
Wir haben das für eine Person berechnet, die jedes Jahr den Durchschnittslohn verdient und einen Entgeltpunkt erlangt. Diese muss dann etwas über 27 Jahre lang in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen, um später eine Rente in Höhe der Grundsicherung zu erhalten. Wenn wir in die Zukunft schauen und die durchschnittliche Entwicklung in der Vergangenheit zugrunde legen, wird sich das Verhältnis bis 2025 zwar erst einmal etwas günstiger entwickeln, die Mindestbeitragszeit sinkt also ab. Wenn dann aber nach 2025 die doppelten Haltelinien auslaufen, steigt der Zeitraum, den man benötigt, um eine Rente in Höhe der Grundsicherung zu erhalten, wieder deutlich an.
Wie war die Entwicklung in der Vergangenheit?
Als Anfang der 2000er die Grundsicherung eingeführt wurde, da waren wir noch bei circa 23 Beitragsjahren. Die notwendige Zeit, um auf das Grundsicherungsniveau zu kommen, hat also seitdem um vier Jahre zugenommen.
Wie sieht der Abstand zwischen Standardrente und Grundsicherung bei Geringverdienenden aus?
Viele Menschen haben einen unterdurchschnittlichen Verdienst, bei ihnen erhöhen sich die Mindestbeitragszeiten natürlich entsprechend. Mit einem Einkommen auf Mindestlohnniveau hat man sehr, sehr große Schwierigkeiten, im Erwerbsleben überhaupt irgendwann mal auf das Grundsicherungsniveau zu kommen. Davon sind immer noch insbesondere Frauen betroffen.
Woran liegt es, dass immer mehr Rentenbeitragsjahre nötig sind, um eine Rente auf Grundsicherungsniveau zu erhalten?
Das liegt einerseits an den Reformen der Rentenversicherung Anfang der 2000er Jahre, die das Niveau gesenkt haben, wodurch die Rentenanpassungen geringer ausgefallen sind. Das wiederum hat dazu geführt, dass sich die Renten im Vergleich zur Grundsicherung nicht so stark entwickelt haben. Gleichzeitig ist der Grundsicherungsbedarf mit den Regelsätzen und dem Wohnbedarf gestiegen. Bei den Regelsätzen hat sich zwar nicht so viel getan, aber die Wohnkosten sind überdurchschnittlich stark gestiegen. Auf diese hat der Staat weniger Einfluss als auf die Regelsätze, und hohe Wohnkosten erhöhen das Armutsrisiko.
Wird sich die Altersarmut also regional stärker unterscheiden als heute?
Wenn man den Unterschied an der Grundsicherungsquote misst, ist die Altersarmut schon heute regional sehr heterogen. In Städten wie Berlin, Hamburg oder Bremen ist die Zahl der Personen, die Grundsicherung im Alter bekommen, bereits heute mehr als doppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt. Neben einer Selektion darüber, wer in diesen Städten wohnt, sind die Wohnkosten dort höher als in ländlichen Gegenden.
Wird die Grundrente, nachdem sie in Kraft getreten ist, diese Entwicklung positiv beeinflussen?
Die Grundrente wird für die Gruppe, die sie erreicht, eine Hilfe sein. Allerdings wird mit der Grundrente auch ein Freibetrag bei der Grundsicherung eingeführt. Wenn man einen solchen Freibetrag einführt, erhöht man den Berechtigtenkreis. Damit ist die Grundsicherungsquote kein guter Indikator mehr für die Armutsvermeidung.Die Menschen sind dann grundsicherungsabhängig, aber haben mehr Einkommen in der Tasche. Die Grundrente behebt das Problem der Altersarmut nicht systematisch und flächendeckend. Es gibt nur einen relativ kleinen Berechtigtenkreis, nämlich diejenigen, die auf 33 Versicherungsjahre kommen und in einem festgelegten Entgeltpunkte-Fenster verdient haben. Viele bleiben außen vor.
Was wäre eine bessere Alternative, um die grundlegende Versorgung im Alter gut zu sichern?
Wenn man Altersarmut wirklich systematisch bekämpfen will, und damit die gesetzliche Rente besonders für Geringverdienende nicht an Legitimation verliert, müssen geringe Anwartschaften aufgewertet werden. Das wäre so eine Art Progression in der gesetzlichen Rente. In unserem jetzigen System gibt es kaum Umverteilung. Es müssten mehr Bevölkerungsgruppen einbezogen werden, umverteilende Elemente in der Rentenversicherung sind nötig. Bisher gibt es davon nur sehr wenige, etwa für Midijobs und für Mütter mit jungen Kindern. Zudem braucht es wohl eine Stabilisierung des Rentenniveaus. Die hilft natürlich nicht nur den Menschen in der unteren Einkommensgruppe.
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