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Der Schatten des Autors
Durch Barcelona auf den Spuren des jüngst verstorbenen Carlos Ruiz Zafón.
Mit »Der Schatten des Windes« wurde der in Barcelona geborene Carlos Ruiz Zafón zum Liebling der Leser. Das Leben sei kurz, hat er in einem Gespräch mit dem »Spiegel« einmal gesagt. Seines war sehr kurz. Der Schriftsteller wurde gerade einmal 55 Jahre alt. Am 19. Juni 2020 ist er an einer Krebserkrankung gestorben. Vielen Menschen aber wird Zafón in Erinnerung bleiben - als einer der großen spanischen Autoren der Gegenwart. Der »Schatten des Windes« hat mich vor ein paar Jahren in die Hauptstadt Kataloniens geweht, wo ich auf den Spuren des Romans unterwegs war. Ein Rückblick.
»Diese Stadt ist eine Hexe, wissen Sie, Daniel. Sie setzt sich einem auf der Haut fest und nimmt einem die Seele, ohne dass man es überhaupt merkt.«
Ist es bei uns auch schon soweit? Sind wir verhext von Barcelona? Verzaubert von der uralten Stadt zu Füßen des Montjuïc, einst Widerstandsnest gegen Francos Truppen, Heimat von Joan Miró und Antoni Gaudí, von Manuel Vázquez Montalbán und eben Carlos Ruiz Zafón. Den Spuren seines Bestsellers »Der Schatten des Windes« folgen wir durch die Gassen des Barri Gòtic, durch die Einkaufsstraßen bis hinauf ins Viertel der Reichen an der Avinguda del Tibidabo.
Stefanie Buchholz, die junge Deutsche, blond und bebrillt, hat uns an die Hand genommen. Das Studium und die Liebe haben sie nach Barcelona gebracht. Jetzt führt sie Touristen durch die Stadt - auf den Spuren von Filmen wie etwa Tom Tykwers »Das Parfüm« oder Woody Allens »Vicky Cristina Barcelona«. Oder eben auch auf literarischen Spuren. In »Der Schatten des Windes« spielt die Stadt eine Hauptrolle. Und wir begegnen einem ganz anderen Barcelona, das sich hinter den glitzernden Fassaden der zumindest bis zur Corona-Pandemie von Overtourism geplagten Stadt verbirgt.
»Sie sollten sich eine graue Stadt vorstellen mit besudelten Mauern«, sagt Stefanie streng, während unsere Augen schier geblendet sind vom überbordenden Angebot der Läden und von den flirrenden Glasfassaden der Architekturstars, die sich hier einen Wettbewerb der Türme zu liefern scheinen. Als Daniel Sempere, der Held des Romans, 1945 an der Hand seines Vaters durch diese Straßen lief, sahen sie sicher ganz anders aus. Er war auf dem Weg zum »Friedhof der vergessenen Bücher« und das Buch, das er wählte, sollte sein Leben für immer verändern. Es war »Der Schatten des Windes« von Julian Carax. An der Rambla, dem Promenade gewordenen Rückgrat der Stadt, wo sich heute Taschendiebe, Taugenichtse und Touristen begegnen, hält Stefanie inne. »Machen Sie am besten die Augen zu, die Tasche fest im Griff«, mahnt sie, ehe sie den Anfang des Romans zitiert, in dem Daniel »durch die Straßen eines Barcelonas« ging, »auf dem ein aschener Himmel lastete und dunstiges Sonnenlicht auf die Rambla de Santa Monica filterte«.
Dann zeigt sie auf einen versteckten, eher düsteren Durchgang, den Arc de Teatre, den Daniel und sein Vater auf ihrem Weg passierten. Wir aber gehen dran vorbei, statt bei Isaac, dem Pförtner, anzuklopfen. Es ist wohl nicht unsere Zeit. Wir wenden uns lieber in Richtung Plaça Reial, wo sich rund um den Brunnen im Zentrum und unter den vom Architektengroßmeister Gaudí gestalteten Laternen die Fotografen gegenseitig auf die Füße treten und unter den herrschaftlichen Häusern des Abends die Bässe der Diskotheken wummern. Hier, in einer der Prachtwohnungen, hat Daniel mit dem reichen Buchhändler Gustavo Barcelo über sein Buch gesprochen und dessen Interesse geweckt. Hier hat er Barcelos Nichte, die blinde Clara, kennengelernt, seine erste große Liebe. Und als er aus dem Barcelo-Haus geworfen wurde, landete er hier geradewegs in den Armen von Fermin, dem Bettler, der sein Freund und Retter werden sollte.
Mit Barcelo verabredete sich Daniel auch im Athenäum, einem »der vielen Winkel Barcelonas, in dem das 19. Jahrhundert noch nichts von seiner Pensionierung mitbekommen hat«, was wir bestätigen können. Auch das »4 Gats«, wo Daniels Eltern sich kennengelernt hatten und wo immer wieder wichtige Gespräche stattfanden, sieht so aus, wie Daniel es beschrieb. Noch immer bewachen »steinerne Drachen die tief verschattete Fassade«.
Das Restaurant wirkt, als hätte es die Zeit überdauert und wäre immer noch das Gleiche, in dem Picasso in einer Künstlerclique groß wurde und in dem auch Gaudí verkehrte. Nach längerem Dornröschenschlaf und aufwendiger Restaurierung wurde es vor etlichen Jahren wiedereröffnet. Alte Fotografien halfen dabei, den Geist der alten Zeiten einzufangen, ganz so, als hätten die Gaslaternen tatsächlich »Zeit und Erinnerungen eingefroren«.
Carlos Ruiz Zafón hat eine Ära in seinem Roman zum Leben erweckt - das Barcelona der Vierziger Jahre. Seine Heimatstadt war dem Schriftsteller Inspiration und Herzensangelegenheit. Schon im zarten Alter von vier Jahren habe er gewusst, dass er Schriftsteller werden wolle, hatte er mal in einem Interview gesagt. Inspiriert hat ihn auch die in einem gotischen Backsteinschloss untergebrachte Jesuitenschule Sarrià, die er besuchte. Und weil er für seinen Vater Botengänge erledigte, kannte er von klein auf jeden Winkel von Barcelona, wo er auch an der Universität studierte.
Die Stadt sollte Carlos Ruiz Zafón nie mehr loslassen, auch wenn er lange Jahre als Werbetexter und Drehbuchautor in den USA arbeitete. Gestorben ist er in Los Angeles. In seinen Büchern hat er seiner Heimatstadt für immer ein Denkmal gesetzt.
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