Subunternehmen Gefängnis

Arbeit in der Haft: Nur Beschäftigungstherapie?

  • Ulrike Wagener
  • Lesedauer: 4 Min.

Lässt sich das US-amerikanische Gefängnissystem mit dem deutschen vergleichen? Auf den ersten Blick lautet die naheliegende Antwort: eher nicht. In den USA sind rund 2,3 Millionen Menschen inhaftiert, 698 pro 100 000, in Deutschland rund 60 000, und damit 78 pro 100 000 Einwohner. Viele Aspekte lassen sich auch auf den ersten Blick nicht vergleichen, weil in Deutschland die Zahlen fehlen. Das liegt zum einen am föderalistisch organisierten Justizsystem, zum anderen daran, dass bestimmte Werte nicht erfasst werden.

Über die USA wissen wir beispielsweise, dass Schwarze Menschen und People of Color rund 67 Prozent der Gefängnispopulation ausmachen, aber nur etwa 37 Prozent der Bevölkerung. In Deutschland wird nur die Staatsbürgerschaft erfasst. So lässt sich darstellen, dass Ausländer 33 Prozent der Gefängnispopulation ausmachen und nur 12,5 Prozent der Bevölkerung. Aber nicht, ob auch nicht-weiße Deutsche überdurchschnittlich oft inhaftiert werden. Seitens etwa des Berliner Justizministeriums wird eine solche Erfassung abgelehnt, um keine Verknüpfung von Kriminalität und einer rassistischen Zuschreibung zu ermöglichen. Das ist ein gutes Ziel, doch wird so auch verhindert, dass die sozialen Ursachen, die etwa eine häufigere Inhaftierung beeinflussen, in den Blick genommen werden können.

Die Prison Policy Initiative aus Massachusetts hat 2014 herausgefunden, dass das jährliche Medianeinkommen Inhaftierter in den USA vor der Haft zwischen 41 und 54 Prozent niedriger ist als jenes von nicht-inhaftierten Personen ähnlicher Altersgruppen. Auch das wird, laut Sebastian Brux, dem Sprecher der Berliner Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung, in Deutschland nicht erfasst. Seine Einschätzung ist folgende: »Ein verbindendes Merkmal der Gefangenen, vielleicht mit Ausnahme von Verurteilten wegen Betrugs oder Steuerhinterziehung, könnten die bildungsfernen und prekären Verhältnisse sein, aus denen viele kommen.« Damit ließe sich auch erklären, dass etwa in Berlin 15 Prozent der Inhaftierten Ersatzfreiheitsstrafen absitzen.

Das Wegschließen der Armen begann in Europa in der frühen Neuzeit, als Armut durch den Calvinismus umgedeutet wurde von »gottgegeben« zu »selbstverschuldet« und viele Arme in Arbeits- und Zuchthäusern leben mussten. Wahrscheinlich ist Johannes Calvin auch nicht ganz unschuldig daran, dass Arbeitszwang bis heute ein integraler Bestandteil des Gefängnissystems ist. Laut Grundgesetz ist Zwangsarbeit im Gefängnis zulässig und in vielen Bundesländern üblich. In den USA regelt der 13. Zusatzartikel der Verfassung die Abschaffung von Sklaverei und Zwangsdienstbarkeit - mit Ausnahme für Personen, die eines Verbrechens schuldig befunden wurden. In den USA sehen Wissenschaftler*innen einen direkten Zusammenhang von der Abschaffung der Sklaverei und Gefängnisarbeit.

In Deutschland gibt es diesen Zusammenhang nicht. Dennoch wirft die Arbeit von Gefangenen viele Fragen auf. Die Entlohnung eines Gefangenen im Jahr 2020 betrug zum Beispiel im Land Hessen je nach Vergütungsstufe 10,32 Euro bis 17,20 Euro pro Tag. Gefangene arbeiten in hauseigenen Betrieben wie Küche oder Wäscherei, aber auch für Unternehmen. Die Justizministerien der Bundesländer wollen jedoch keine Vertragspartner ihrer Anstalten nennen. Begründet wird das auch damit, man wolle keine Firmen verlieren. Und dies mag auch ein Grund sein, warum man vor »Preiserhöhungen« zurückschreckt. Dennoch betonen die Justizministerien, dass mit der Arbeit der Gefangenen kein Profit erwirtschaftetet werde, sondern die Resozialisierung und Therapie der Gefangenen im Mittelpunkt stehe. Eine derartige Umwidmung von Arbeit kennt man auch aus anderen Bereichen, etwa der Sorgearbeit. Hier wie da hat das zur Folge, dass die Arbeitenden nicht in die Sozialversicherungssysteme einzahlen. Die Gefangenen müssen so nach der Entlassung Einbußen etwa bei der Rente in Kauf nehmen. Die Integration von Gefangenen ins Rentenversicherungssystem scheitert derzeit trotz allseitiger Absichtsbekundungen an der Frage, ob Bund oder Länder für die Kosten aufkommen sollen.

Der Sprecher der Gefangenengewerkschaft GG/BO bezweifelt, dass Gefangenenarbeit frei von Verwertungslogik sei: »Wenn sich das nicht lohnt, warum lassen dann Firmen wie Miele, Procontour Möbel und Paper Cuts in den Justizvollzugsanstalten fertigen?« Er begrüßt die Struktur, die durch Arbeit geschaffen werde, doch die geringe Entlohnung spiegele den Gefangenen, dass sich »ehrliche Arbeit« nicht lohne. Auch wenn die Häftlinge Mindestlohn bekämen und sich damit an ihren eigenen Haftkosten beteiligen würden, bliebe am Ende noch mehr Geld übrig, von dem sie Opfer entschädigen, die Familie unterstützen und Schulden zurückzahlen könnten. Auch gingen den Kommunen bei der geringen Vergütung Lohnsteuereinnahmen verloren.

Das US-Strafsystem mit seinen Masseninhaftierungen mag zwar quantitativ nicht vergleichbar sein mit dem deutschen, doch grundlegende Probleme ähneln sich. Die Weggesperrten sind zu einem hohen Anteil nicht-weiße Menschen und solche, denen eine Perspektive fehlt, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Die Entwertung ihrer Arbeit und die fehlende Rentenversicherung in der Haft macht klar, dass auch nach der Entlassung gilt: Wer arm ist bleibt arm.

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