Keine Fitness, keine Führung

Den Traditionsklub 1. FC Nürnberg kann nur noch die Relegation vor dem Abstieg in die 3. Fußballliga retten

Seit Wochen atmen viele Angestellte des 1. FC Nürnberg erst mal tief durch, bevor sie manche Fanforen durchlesen, oder sie lassen es ganz sein - aus Selbstschutz. Egal, ob es ein Interview mit dem Co-Trainer Fabian Gerber ist, der als Spieler mit dem heutigen Gegner FC Ingolstadt schon mal ein Relegationsspiel gewonnen hat, oder ob es eine Pressekonferenz von Interimscoach Michael Wiesinger ist. Derzeit kann der Verein publizieren, was er will - als Replik schlägt ihm in Hunderten Posts Spott, Häme und offene Feindseligkeit entgegen.

»Blinde« oder »Söldnertruppe« sind noch die freundlichsten Beschreibungen für eine Mannschaft, die nach Meinung vieler Fans von Glück reden kann, wenn sie in den beiden Spielen gegen den Vierten der Dritten Liga doch noch die Zweite Bundesliga hält. Wiesinger selbst blendet das derzeit aus. Er hat in einem dreitägigen Trainingslager in Bad Gögging festgestellt, dass in seinem Team »Türen aufgegangen« sind und sich im Trainingsalltag »Erfolgserlebnisse eingestellt« hätten. »Wir haben Selbstvertrauen, weil wir der Zweitligist sind und das auch bleiben wollen.«

Nach einer desaströsen Saison, in der der Club nur acht Siege zustande brachte und am letzten Spieltag die Chance vertat, durch einen Erfolg in Kiel doch noch die Klasse zu halten, ruht die Hoffnung nun auf dem neuen Trainerteam. Wiesinger, der 2013 den FCN schon einmal in der ersten Liga betreut hatte, und der bisherige U21-Coach, Club-Ikone Marek Mintal, sollen nun den Stimmungsumschwung herbeiführen.

Nach dem Kiel-Spiel war Jens Keller entlassen worden, da dieser nur 23 Punkte in 21 Spielen geholt hatte. Dem ehemaligen Trainer des 1. FC Union Berlin traute niemand mehr zu, eine Mannschaft aufzurichten, die ja eigentlich um den Aufstieg in die erste Bundesliga hätte mitspielen sollte. Sieht man sich die Einzelspieler an, dürfte der Club eigentlich auch mit den niederen Tabellenregionen nichts zu tun haben. Spieler wie Hanno Behrens, Nikola Dovedan, Johannes Geis, Fabian Schleusener oder Robin Hack haben andere Clubs aus dem letzten Tabellendrittel jedenfalls nicht im Kader. Dennoch kamen die Nürnberger nie ins Rollen. Schon zu Saisonbeginn setzte es Pleiten gegen Aue oder Sandhausen. Selbst bei den wenigen Siegen war der Club nur selten die bessere Mannschaft. Insgesamt, so die interne Analyse, fehlt dem Team Tempo und Körperlichkeit, vor allem am Saisonende traten Fitnessprobleme auf.

Vorwürfe richten sich aber nicht nur gegen Keller, sondern auch an Robert Palikuca. So zum Beispiel, dass er den Kader falsch zusammengestellt und einige Millionen aus dem Fenster geworfen habe, die sein sparsamer Vorgänger Andreas Bornemann in den Aufstiegs- und Bundesligajahren 2018/2019 erwirtschaftet hatte. Der Sportdirektor Palikuca hat sich schon zu Beginn seiner Amtszeit im Sommer angreifbar gemacht: Der geplante Wechsel von Mike Frantz, der schon einmal sechs Jahre beim Club gespielt hatte und bei den Fans in bester Erinnerung geblieben ist, zerschlug sich, weil Palikuca über die »Bild«-Zeitung Druck auf den SC Freiburg ausübte - woraufhin der prompt die Freigabe verweigerte. Frantz wäre möglicherweise der Leitwolf gewesen, der dem Club seitdem fehlt.

Dass Palikuca mit dem im November entlassenen Damir Canadi einen Trainer holte, den er zuvor bereits erfolglos in Düsseldorf installieren wollte, war ein weiterer Fauxpas. Es scheint derzeit unwahrscheinlich, dass der Sportdirektor über den Sommer hinaus in Nürnberg arbeiten wird - selbst wenn der Klassenerhalt in den beiden Endspielen noch gelingt. »Es ist jetzt nicht an der Zeit, solche Fragen zu besprechen«, sagt Aufsichtsratschef Thomas Grethlein. »Jetzt gilt es, Geschlossenheit zu zeigen und die Mannschaft noch einmal zu stärken.« Sollte die Rettung misslingen und Ingolstadt in die 2. Liga aufsteigen, brechen hingegen harte Zeiten am Valznerweiher an. Schon jetzt fürchten viele Angestellte um ihre Jobs.

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