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Spionageskandal erschüttert Argentinien
Ex-Präsident Mauricio Macri weist Verantwortung für illegale Überwachungsaktionen in seiner Amtszeit zurück
Was wusste Argentiniens Ex-Präsident Mauricio Macri (2015 bis 2019) von den umstrittenen Machenschaften seines Geheimdienstes? Vergangene Woche wurde sein ehemaliger Privatsekretär Darío Nieto verhaftet. Wenige Tage später wurde auch seine damals zuständige Chefin für die Präsidialdokumentation festgenommen, Susana Martinengo - sprich die Verantwortliche für die Berichte, die Macri als Präsident vorgelegt wurden. Nieto und Martinengo stehen unter dem Verdacht, an illegalen Spionageaktionen gegen Politiker*innen, Richter*innen, Gewerkschafter*innen und Journalist*innen beteiligt gewesen zu sein.
Der Fall umfasst inzwischen über 50 Opfer. Ermittelt wird, ob sie in den Jahren 2018 und 2019 ohne rechtliche Grundlage ausspioniert wurden und, wenn ja, auf wessen Anweisung. Zu den prominentesten Opfern gehören die ehemalige Präsidentin Cristina Kirchner (2007 bis 2015), der Hauptstadtbürgermeister Horacio Rodríguez Larreta sowie die frühere Gouverneurin der Provinz Buenos Aires, María Eugenia Vidal. Die Drei werden als Kläger*innen bei einem anstehenden Verfahren auftreten. Rodríguez Larreta und Vidal gehören Macris neoliberaler Partei PRO an.
Die Geschichte beginnt mit der Festnahme eines Drogenhändlers in der Provinz Buenos Aires. Drei Jahre war Bundesrichter Federico Villena hinter ihm her gewesen, bevor er ihn im Februar 2020 auf einem Landgut zusammen mit seiner ganzen Familie festsetzen konnte. Er werde sich ergeben, aber nur in Anwesenheit von Villena, so die Bedingung des Narcos, wie Drogenhändler in Südamerika genannt werden. Nach seiner Festnahme gab er an, unter dem Schutz des Geheimdienstes zu stehen. In dessen Auftrag habe er 2018 eine Bombe vor einer Wohnung in Buenos Aires platziert. Als Kontaktmann nannte er den Geheimdienstmitarbeiter Facundo Melo.
Tatsächlich war Anfang Juli 2018 ein Sprengsatz vor der Wohnung eines Unterstaatssekretärs im Verteidigungsministerium gefunden worden. Der Fund blieb rätselhaft. Nach dem Bekenntnis des Narcos nahm Bundesrichter Villena die Ermittlungen wieder auf und ordnete eine Durchsuchung bei dem Geheimdienstmitarbeiter Facundo Melo an. Auf dessen Handy fanden die Beamt*innen ein Foto der Bombe, das eindeutig vor deren Platzierung vor der Wohnung aufgenommen worden war. Und sie fanden eine WhatsApp-Gruppe mit 18 offiziellen Geheimdienstmitarbeiter*innen.
Bei den sich anschließenden Durchsuchungen der Handys der Mitglieder der Gruppe wurden zahlreiche Fotos, Chats, Protokolle von Personenverfolgungen sowie Gespräche über die Zielpersonen sichergestellt. Zur WhatsApp-Gruppe gehörte auch Alan Ruíz, der damalige Chef der Spezialoperationen des Geheimdienstes. Gegen Ruíz wurde schon wegen des Verdachts ermittelt, das Instituto Patria - die Denkfabrik von Cristina Kirchner - sowie die Wohnung der ehemaligen Präsidentin illegal ausspioniert zu haben. Ruíz räumte die Spionageaktionen ein, zumal die Beweislage erdrückend war, rechtfertigte sie aber als legale Aktionen. Nachdem er zu einer Befragung durch den Geheimdienst-Kontrollausschuss des Kongresses nicht erschienen war, ließ ihn der in diesem Fall ermittelnde Bundesrichter Juan Pablo Augé am 20. Juni verhaften.
Andere aus der WhatsApp-Gruppe hatten vor dem Kontrollausschuss ausgesagt, auf Anweisung des damaligen obersten Geheimdienstchefs Gustavo Arribas gehandelt zu haben. Arribas war von Macri höchstpersönlich ins Amt gehievt worden. Bei den Befragungen vor dem Kontrollausschuss fielen auch die Namen von Macris ehemaligem Privatsekretär Nieto und Macris damaliger Präsidialdokumentationschefin Martinengo.
Am 25. Juni erließ Bundesrichter Federico Villena Haftbefehl gegen Darío Nieto und ließ dessen Haus durchsuchen. Es war ein Paukenschlag, der unter den Verdächtigen für helle Aufregung sorgte.
Mit der Begründung, es könnten Beweismittel vernichtet werden, erließ Bundesrichter Villena wenige Tage später 22 weitere Haftbefehle. Zu den vorläufig Festgenommenen gehörte Susana Martinengo, die einräumte, einige der Agenten im Präsidentenpalast empfangen und dabei Berichte erhalten zu haben. Offen ist, ob, und wenn ja, was sie an Darío Nieto oder direkt an den Präsidenten weiter reichte.
Doch noch während der ersten Vernehmungen vergangenen Freitag wurden Villenas die Ermittlungen entzogen. Tatsächlich hatte der Bundesrichter selbst einige umstrittene Abhöraktionen genehmigt, die zwar nichts mit dem aktuellen Fall zu tun haben, ihn aber als befangen gelten ließen, so die Begründung der Bundesrichterkammer in La Plata. Sämtliche Ermittlungen wurden Bundesrichter Juan Pablo Augé übertragen. Augé hat bereits die Zusammenlegung seiner Ermittlungen gegen Alan Ruíz mit denen gegen die WhatsApp-Gruppe angekündigt, in die er sich aber erst einarbeiten müsse. Deshalb setzte er die vorläufig Festgenommenen - außer Ruíz - auf freien Fuß oder stellte sie unter Hausarrest.
Bisher führt die Kette der Verdachtsmomente nicht bis nach ganz oben. Mauricio Macri weist jegliche Verwicklung von sich. Stattdessen sieht sich der Ex-Präsident einem juristischen Rachefeldzug der damaligen Opposition ausgesetzt, die heute mit Vizepräsidentin Christina Kirchner wieder in der Regierung ist. Heikel ist jedoch schon jetzt seine innerparteiliche Situation.
Macri verfügt allerdings über eine langjährige Erfahrung im Umgang mit Vorwürfen von illegaler Spionage. Als Bürgermeister der Hauptstadt Buenos Aires stand er unter dem Verdacht, das Anzapfen von Telefonen einiger ihm unbequemer Personen veranlasst zu haben, darunter auch Familienangehörige. Bis kurz nach seinem Amtsantritt als Präsident im Dezember 2015 wurde gegen ihn ermittelt. Dann wurden die Ermittlungen »aufgrund neuer Beweise« offiziell eingestellt. Im Unterschied zu damals bekleidet er heute jedoch kein politisches Amt und es schützt ihn auch keine Immunität.
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