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Im Sitzen selbst erhängt
Widersprüche um Todesfälle von Flüchtlingen in Polizeigewalt wecken Zweifel
Rooble Warsame soll sich mit einem Laken und einer Bettdecke stranguliert haben. Hierfür musste er eine Polizeidecke mit bloßen Händen in Streifen reißen. Man fand ihn in seiner Zelle in einer für Suizid »atypischen« Haltung, kauernd am Boden - in 1,50 Meter Höhe am Zellengitter war das »Strangulationswerkzeug« verknotet. Die Tat grenzt an ein Wunder tödlicher Selbstbezwingung des 1,78 Meter großen Mannes. Zumal der knapp 23-jährige Somalier nicht als suizidgefährdet galt. Er war im Februar des vergangenen Jahres wegen Ruhestörung und offenbar alkoholisiert in Schweinfurt festgenommen worden. Die Umstände seiner Verhaftung sind so umstritten wie die seines Todes. Rooble Warsame war in einem der sogenannten Anker-Zentren - Ankunfts-, Entscheidungs- und Rückführungszentren - festgenommen worden und starb in Polizeigewahrsam. Die Aussagen der Polizisten blieben widersprüchlich. Warsames Familie versucht bisher vergeblich, Genaueres herauszufinden.
Er ist einer der Fälle, die die Antirassistische Initiative in ihrer aktuellen Dokumentation »Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen« zusammengetragen hat. Seit 27 Jahren dokumentiert die Gruppe solche Fälle, und mittlerweile summieren sie sich auf 1298 geflüchtete Menschen, die durch Gewaltanwendung vonseiten der Polizei oder von Sicherheitspersonal verletzt wurden. Für 28 Menschen endete diese Gewalt tödlich. 24 der Todesfälle sowie 1050 Fälle zum Teil schwerster Verletzungen gingen auf die »direkte Einwirkung von Angehörigen der Polizei« zurück, schreibt die Initiative in ihrer begleitenden Pressemitteilung.
In den Fällen von Januar 1993 bis Ende des vergangenen Jahres summiert sich eine Liste des Grauens: Zur direkten Gewalt mit Todesfolge kommt die mittelbare. 309 Flüchtlinge töteten sich angesichts ihrer drohenden Abschiebung oder starben bei dem Versuch, vor der Abschiebung zu fliehen, davon 85 Menschen in Abschiebehaft. 3375 Flüchtlinge verletzten sich aus Angst vor der Abschiebung oder aus Protest gegen die drohende Abschiebung (Hunger- und Durststreiks) oder versuchten, sich umzubringen; davon befanden sich 868 Menschen in Abschiebehaft. Fünf Flüchtlinge starben während der Abschiebung. Hinzu kommen 586 Flüchtlinge, die durch Zwangsmaßnahmen oder Misshandlungen während der Abschiebung verletzt wurden.
Die Liste umfasst freilich mehr als jene Opfer, die praktisch unter den Augen oder durch das Handeln der Polizei und von Sicherheitsdiensten zu Schaden kamen oder starben. 39 Flüchtlinge kamen nach der Abschiebung in ihrem Herkunftsland ums Leben. Die Initiative führt auch 26 Todesfälle an, die wegen unterlassener Hilfeleistung zu beklagen sind. 86 Flüchtlinge starben bei Bränden, Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte und Wohnungen oder durch sonstige Attacken, 1765 Flüchtlinge wurden dabei verletzt. Die Dokumentation spricht von einem großen »Dunkelfeld« - längst nicht jeder Fall wird der Initiative bekannt.
Gerade unter dem Eindruck der aktuellen Debatten über rassistisch determinierte Polizeigewalt liefert die Dokumentation mit den immer wiederkehrenden Beispielen solcher Gewalt und ihrer »Aufarbeitung« schwerwiegende Argumente dafür, dass staatliches Handeln nicht nur in Einzelfällen rassistisch ist. Immer wieder werden die tödlichen Folgen polizeilichen Handelns mit »Notwehr« begründet; die Opfer werden damit kriminalisiert, obwohl es nur selten zu Gerichtsverfahren kommt. Ermittlungen gegen Polizisten werden in der Regel bald eingestellt.
Wie schwer es ist, einen offiziell festgestellten Suizid infrage zu stellen und zu entkräften, zeigt der Fall Oury Jallohs, der 2005 in einer Dessauer Polizeizelle verbrannte. Die Antirassistische Initiative weist auf weitere Todesfälle hin - etwa die Erschießung von Hussam Fadl Hussein im September 2016 in Berlin oder die Verbrennung von Amad Ahmad in einem Gefängnis in Kleve im September 2018. Wie auch der angebliche Suizid Rooble Warsames in einer Schweinfurter Polizeizelle wecken diese Fälle in ihrer Widersprüchlichkeit Zweifel an den offiziell bekannt gegebenen Versionen.
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