Plätscher, Plätscher, Kalbitz

Warum der RBB für das Sommerinterview mit dem rechtsextremen Brandenburger AfD-Vorsitzenden zurecht viel Kritik bekommt

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Sommerinterviews der Öffentlichen-Rechtlichen - seit ihrer Erfindung kämpft dieses TV-Format mit der Kritik, irgendwie doch nur eine Art Lückenbüßer zu sein. Während in den Parlamenten Sommerpause herrscht und sich so manches investigatives TV-Magazin ebenfalls in die Urlaubsfrische verabschiedet, muss die politische Berichterstattung trotz eines theoretischen oder realen Mangels an Themen weitergehen. Passend zum medial omnipräsenten Sommerlochtier erfand das ZDF deshalb in den 80er Jahren das Sommerinterview.

Doch während die Ära leidenschaftlicher Berichterstattung über ausgebüchste Kühe, bissige Krokodile oder tödliche Giftschlangen in Ermangelung eines Sommerlochs seit einigen Jahren vorbei ist, haben die Sommerinterviews überlebt. Schon länger gibt es diese Gespräche nicht mehr nur im Zweiten, sondern auch in jedem Dritten Programm. Eben überall da, wo es ein »geschlossenes« Landesparlament gibt, langweilt sich unter Garantie auch ein Spitzenpolitiker, der die Einladung zum ausschweifenden Gespräch dankbar annimmt.

»Wenn ihnen das ZDF einen so schönen PR-Präsentierteller hinhält, setzen sich die meisten Politiker drauf, streifen ihre Krawatten ab und freuen sich, die ersten Fragen, die traditionell dem Ort des Interviews gewidmet werden, volkstümelnd zu beantworten«, bemerkte Sebastian Fischer schon 2011 in der Taz über dieses eigenwillige Stück Fernsehjournalismus.

Bestenfalls ließ sich diese leichte Art des Politjournalismus bisher ignorieren. Solange dem Journalisten ein überzeugter Demokrat einer ebenso demokratischen Partei gegenübersaß, waren seichte Fragen maximal deshalb ärgerlich, weil ausführliche Interviews mit Spitzenpolitikern in einer auf die schnelle Nachricht zugespitzten Mediengesellschaft zunehmenden Seltenheitswert besitzen. Tiefgang, mehrfaches Nachfragen waren noch nie Merkmal eines Sommerinterviews, obwohl ausschweifende Sendezeiten von bis zu 40 Minuten genug Raum dazu bieten würden.

Dass der leichte, entspannte Polit-Schnack als Konzept nicht mehr ganz so zielführend sein könnte, hätte den Öffentlichen-Rechtlichen spätestens zu dem Zeitpunkt auffallen müssen, als die AfD die politische Bühne betrat und nach nur wenigen Jahren in sämtlichen Landesparlamenten und im Bundestag saß. Denn Sommerinterviews, das ist so eine ungeschriebene Regel dieser Sendungen, talken stets mit je einem Vertreter aller Parteien, die zu dem Zeitpunkt im jeweils zum Sendegebiet passenden Landtag vertreten sind.

Aus diesem Grund saß vor ein paar Tagen auch der Brandenburger AfD-Landeschef Andreas Kalbitz gemeinsam mit einer Journalistin des RBB vor der Kulisse eines märkischen Gewässers. »Politik am See« nennt sich diese Sommerinterviewreihe und genauso wie die von vorbeifahrenden Booten erzeugten, kaum hör- und erkennbaren Wellen plätscherte auch dieses Gespräch dahin. Für die entspannte Urlaubsatmosphäre fehlten nur noch zwei Gläser Weißwein und das Kalbitz sich am Ende der Aufzeichnung das Hemd von seinem Krupp-Stahl-gehärteten Körper reißt, um eine Runde schwimmen zu gehen.

»Warum gibt der RBB diesem Mann 40 Minuten Sendezeit, um sich als sympathischer Politiker inszenieren zu können?«, fragt die »Spiegel«-Journalistin Ann-Katrin Müller in einem wütenden Kommentar zur Sendung. Die Komplettfassung ist auf der Senderwebsite abrufbar, im linearen TV lief dagegen nur eine auf etwa sieben Minuten gekürzte Fassung.

Dennoch hat Müller mit ihrer Kritik recht: Ohne eigenes Wissen zur Vita des Interviewten verfängt sich der Zuschauer schnell in der von Kalbitz gezielt aufgestellten Falle, ihn mit einem konservativen, aber ansonsten beinahe beliebigen Politiker zu verwechseln, der sich zudem auch noch als das Opfer einer angeblich gegen ihn gespinnten politischen Intrige inszeniert.

Dies alles ließe sich entlarven: Wenn der RBB schon überzeugt ist, Kalbitz so viel Raum vor der Kamera zu geben, hätte die ihn interviewende Journalistin jedes wichtige Detail über den Brandenburger AfD-Chef nicht nur wissen, sondern auch nutzen müssen. Warum konfrontierte sie ihn nicht ausführlich mit dem Fakt, dass sich Kalbitz belegbar über anderthalb Jahrzehnte in verschiedenen rechtsextremen Organisationen herumtrieb? Warum lässt die Journalistin ihm die Selbsteinordnung als »sozialer Patriot« durchgehen, obwohl Experten wie der Rechtsextremismusforscher Matthias Quent Kalbitz als Vertreter der neo-nationalsozialistischen Rechten einordnen. Selbst der Leiter des Brandenburger Landesamtes für Verfassungsschutz ist da inzwischen weiter. Mitte Juni stellte er fest: Kalbitz ist ein »erwiesener Rechtsextremist«.

Der RBB hätte Kalbitz mit Zitaten konfrontieren können oder zu seiner zentralen Rolle im formal aufgelösten völkisch-nationalistischen »Flügel«, dem Sammelbecken für rechtsextreme Kräfte in der AfD, befragen. Stattdessen liest die Journalistin eine Zuschauerfrage vor, die sich Schulfreunde früher im Beste-Freunde-Album gegenseitig beantworteten: »Wo sehen sie die Zukunft der AfD?«

Das Problem: All dieses Nichtwissen und nicht so genau nachfragen gehört zum Konzept, wie RBB-Chefredakteur Christoph Singelnstein auf Nachfrage des Nachrichtenportals watson.de erklärte: »Die Sommer-Interviews sind nicht investigativ angelegt, sondern machen politische Positionen deutlich. Wir führen diese Interviews, damit man über die Inhalte diskutieren kann, nicht über das Interview selbst.«

Am Mittwochabend korrigierte der RBB-Chef nach heftiger Kritik diese Ansicht. Die Expertise mehrerer Redaktionen zum Rechtsextremismus und zu AfD-Fraktionschef Kalbitz sei in dem Interview zu kurz gekommen.

Journalismus, der vor sich hin plätschert, braucht niemand. Profitiert hat davon vor allem einer: Andreas Kalbitz. Taz-Redakteurin Erica Zingher sieht das genauso: »Was der RBB mit seinem Sommerinterview erreicht hat, war, einem Rechtsextremisten die Legitimation zu geben, die er benötigt, um sich als falsch verstandener Politiker und als Opfer dieses Rechtsstaates darstellen zu können.«

Genauso wie das Sommerlochtier können Sommerinterviews bitte einfach verschwinden.

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