Erneut Nazipost: Janine Wissler wird bedroht

Die hessische Linksfraktionschefin Janine Wissler erhält Drohbriefe – Polizisten könnten beteiligt sein

  • Daniel Lücking
  • Lesedauer: 3 Min.

Horst Seehofer nutzte die Gelegenheit für ein wenig Selbstlob. Als er am Donnerstag in Berlin gemeinsam mit dem Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Thomas Haldenwang, den Verfassungsschutzbericht des Jahres 2019 vorstellte, pries der Bundesinnenminister das Vorgehen der Bundesregierung gegen Rechtsextremismus.

Nie zuvor habe eine Bundesregierung das Problem so konkret als Gefahr benannt, sagte der CSU-Politiker. Neben dem Rechtsextremismus seien Antisemitismus und Rassismus die größte Bedrohung für die Sicherheit Deutschlands. Eine Hauptaussage des Reports: Von Neonazis verübte Gewalttaten und Gewaltbereitschaft nehmen erschreckende Ausmaße an, die Anschläge auf den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke und auf die jüdische Gemeinde in Halle sind nur die Spitze eines Eisbergs.

Seehofer und Haldenwang kündigten für Ende September den Bericht einer neu geschaffenen Zentralstelle an, die rechtsextreme Umtriebe in Behörden untersucht. Aktuell arbeite man dort zunächst mit Priorität an Vorkommnissen in Sicherheitsbehörden wie Poilzei und Bundeswehr. Später werde man sich anderen Behörden widmen.

Wie nötig diese Untersuchungen sind, zeigt der Fall der Linke-Fraktionschefin im hessischen Landtag Janine Wissler. Sie hatte in den vergangenen Tagen erneut zwei anonyme Morddrohungen erhalten, wie ein Fraktionssprecher am Donnerstag bestätigte. Die Drohungen seien mit »NSU 2.0« unterschrieben und enthielten persönliche Informationen über die 39-jährige Politikerin, die öffentlich nicht zugänglich seien. Momentan führen die Spuren zu einem Wiesbadener Polizeirevier.

»Offenbar ist das rechte Netzwerk in der hessischen Polizei größer, als bisher von offizieller Seite eingeräumt«, sagte der innenpolitische Sprecher der Linken Hermann Schaus. Der Fall erinnert an Morddrohungen, die die Frankfurter Anwältin Seda Basay-Yildiz vor rund zwei Jahren erhalten hatte und die ebenfalls mit »NSU 2.0« unterschrieben waren. Die Täter konnten bislang nicht ermittelt werden. Spuren führen ebenfalls in ein Polizeirevier. Über einen Polizeicomputer waren Informationen zu Basay-Yildiz abgefragt worden.

Diese Vorgänge passen ins Bild eines erstarkenden Rechtsextremismus, das im Berichts des Verfassungsschutzes gezeichnet wird. Mit 32 080 Personen ist das registrierte rechtsextreme Potenzial im Vergleich zum Vorjahr um fast 8000 angestiegen. 13 000 davon seien als gewaltorientiert eingestuft. Grund für den Anstieg dürfte die 2019 erfolgte Einstufung des als rechtsextrem geltenden Flügels der AfD sein, dessen Umfang der Ehrenvorsitzende der Partei, Alexander Gauland, mit 7000 Mitgliedern angibt.

Laut André Hahn (Linke), der als Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestages die Geheimdienste kontrolliert, wirkt der Bericht, als sei »eine Anweisung ergangen, auch die Zahlen zum Linksextremismus künstlich heraufzurechnen«. Im Bereich des Linksextremismus gibt der Verfassungsschutz 33 500 Personen an, von denen 9200 als gewaltorientiert eingestuft werden. Dem rechten Spektrum zuzuordnen, in der Statistik jedoch getrennt erfasst sind Reichsbürger und Selbstverwalter. Ihre Zahl wird mit 19 000 angegeben; es seien nur 950 Rechtsextremisten darunter.

Kritik an den Zahlen aus dem Verfassungsschutzbericht übt auch Martina Renner. Die Linke-Bundestagsabgeordnete sagte im Deutschlandfunk, die Zahlen seien keine Grundlage mehr, um die Gefahren des Rechtsextremismus richtig zu beurteilen. Seit ihrer Erhebung sei mit dem Anschlag in Hanau, bei dem im Februar 2020 ein Rechtsextremist neun Menschen, seine Mutter und sich selbst tötete, sowie durch die rechtsradikalen Vorfälle im Bundeswehr-Kommando Spezialkräfte ein erheblicher Zuwachs der Bedrohung zu verzeichnen.

FDP-Innenexperte Benjamin Strasser hingegen zeigte sich besorgt über die »wachsende Gewaltbereitschaft in allen extremistischen Phänomenbereichen«. Die Grünen-Politikerin Irene Mihalic und ihr Fraktionskollege Konstantin von Notz beklagten frühere Versäumnisse: »Es bleibt hoch problematisch, dass die Sicherheitsbehörden trotz Oktoberfestattentat, NSU und der vielen anderen rechtsextremen Angriffe und Morde der letzten 40 Jahre das Problem viel zu lange unterschätzt haben«, erklärten sie. Der Verfassungsschutz müsse nun »die Netzwerke der Feinde unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung umfassend aufklären«. Mit Agenturen

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