Das Märchen vom bösen Sultan
Philip Malzahn über die Umwidmung der Hagia Sophia in Istanbul
Die Wellen, die die Umfunktionierung der ehemaligen Kirche und des Museums Hagia Sophia in eine Moschee schlägt, offenbaren mehr über das Denken in angeblich aufgeklärten Ländern wie Deutschland als über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Die »Zeit« spricht von einem »Schritt 567 Jahre zurück«, auch die Taz reduziert Erdoğans Motivation auf einen »symbolischen Sieg über die Christen«.
Wer so spricht, verkennt Erdoğans Ethno-Islamismus und das, was dahinter steht. Es ist eine radikale, aber hochmoderne und minutiös durchdachte Strategie - die nur funktioniert, weil auch die »westliche Welt« im 21. Jahrhundert bereitwillig die Rolle des Gegenspielers einnimmt, indem man unreflektiert das Narrativ von »Orient« gegen »Okzident«, von »Christen« gegen »Muslime«, von »Gut« gegen »Böse« aufgreift. Wenn der Fall Hagia Sophia aus deutscher Sicht irgend etwas sein sollte, dann ein Anlass, darüber nachzudenken, warum die Umfunktionierung eines alten Gebäudes für mehr Aufruhr sorgt als Erdoğans Feldzüge im Südosten der Türkei, in Syrien, Libyen und im Nordirak. Wer sich dabei auf das Märchen vom bösen Sultan bezieht, verkennt die Intelligenz eines Recep Tayyip Erdoğan. Und damit auch die Gefahr, die von ihm ausgeht.
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