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Korrekturen statt Kurswende
Frankreichs Präsident Macron kündigt weitere 100 Milliarden Euro staatlicher Hilfen für die Wirtschaft an
Der Nationalfeiertag der Franzosen am 14. Juli stand in diesem Jahr ganz im Zeichen des Kampfes gegen die Corona-Epidemie und der Überwindung ihrer Folgen. Die traditionellen Feuerwehrbälle am Vorabend waren verboten, und bei den Feuerwerken, von denen diesmal landesweit nur jedes zehnte stattfand, wurden die Besucher auf Abstand gehalten. Auch die traditionelle Militärparade in Paris fand praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Während sie sonst entlang der durch Zuschauer dicht gesäumten Champs-Elysées verläuft, beschränkte sich diesmal das Defilee der Militärs sowie der wenigen Fahrzeuge auf den weiträumig abgesperrten Concorde-Platz. Dafür gehörten zu den nur 1 000 geladenen Gästen mehrere Hundert Angehörige des Gesundheitswesens, aber auch Supermarktkassiererinnen und Müllfahrer als Vertreter ihrer Berufsgruppen.
Ihr Einsatz während der Epidemie wurde durch eine Ansprache von Präsident Emmanuel Macron und einen mehrere Minuten langen Beifall der Mitglieder der Regierung gewürdigt. Trotzdem verstummte auch an diesem Tag nicht die Kritik an den unzureichenden Maßnahmen der Regierung für das Gesundheitswesen. So stieg während der Parade unweit der Regierungstribüne an Ballons ein Transparent mit der Aufschrift »Macron erdrosselt die Krankenhäuser!« in den Himmel. Am Nachmittag gab es auf dem Platz der Republik eine Protestdemonstration von Angehörigen des Gesundheitswesens, und am Abend wurde Präsident Macron bei einem Spaziergang mit seiner Frau im Tuilerien-Garten von Angehörigen der Bewegung der »Gelben Westen« verbal angegriffen.
Am Nachmittag hatte der Präsident eine Tradition seiner Amtsvorgänger aufgegriffen und im Élysée-Palast ein vom Fernsehen live übertragenes Interview gegeben. Dabei räumte Macron Fehler bei der Bekämpfung der Epidemie ein. Angesichts des Entstehens neuer Epidemieherde kündigte er eine Maskenpflicht für alle geschlossenen Räume an. Dass bei einer »zweiten Welle« wieder ein generelles Ausgehverbot erlassen wird, schloss er aus. Stattdessen könne es zeitlich und räumlich begrenzte Einschränkungen der Bewegungsfreiheit geben. Die Regierung unterstütze mit allen Mitteln die Pharmaindustrie bei der Entwicklung eines Impfstoffs und habe Übereinkommen geschlossen, damit dieser schnellstmöglich bereitgestellt werden kann. Für September kündigte Macron ein Programm zur Wiederankurbelung der Wirtschaft an, die durch die Epidemie schwer getroffen ist. Dafür werden 100 Milliarden Euro bereitgestellt, zusätzlich zu den 460 Milliarden Euro, die bereits seit Beginn der Epidemie eingesetzt wurden. Da bis zum Frühjahr mit einer Welle von bis zu einer Million neuer Arbeitsloser zu rechnen sei, konzentriere man sich besonders auf die Absolventen von Berufsschulen und Universitäten sowie andere junge Berufseinsteiger. Um den Mangel an Arbeitsplatzangeboten auszugleichen, werde die Regierung 300 000 staatlich finanzierte »Einstiegsjobs« schaffen und 200 000 Plätze für die Umschulung auf Berufe, in denen dringend Arbeitskräfte gesucht werden.
Macron schloss aus, dass es Steuererhöhungen gibt, um den durch die Coronakrise angewachsenen Berg der Schulden des Staates abzubauen. Die würden über einen sehr langen Zeitraum reduziert, dabei setze man auf die natürlichen Einnahmen durch neuerliches Wirtschaftswachstum. Eine Wiedereinführung der »Reichensteuer« ISF schloss Macron aus, doch werde für die 20 Prozent der besser verdienenden Franzosen die geplante Abschaffung der Kommunalsteuer auf unbestimmte Zeit verschoben. Dadurch spart der Staat allein im kommenden Jahr 2,4 Milliarden Euro. An der Rentenreform und anderen Reformprojekten will Macron festhalten, wenngleich er eine Verschiebung, veränderte Methoden der Umsetzung und vor allem mehr sozialen Dialog ankündigt.
In ersten Stellungnahmen der Opposition wird die Enttäuschung über den begrenzten Umfang der Maßnahmen zum Ausdruck gebracht. Die Kommunistische Partei kritisiert, dass die Reichen und die Konzerne nicht stärker herangezogen werden und dass staatliche Hilfe für Unternehmen nicht mit einem Entlassungsverbot und anderen sozialen Auflagen verbunden wird. Olivier Faure, der Vorsitzende der Sozialistischen Partei, bemängelt, dass die Chance für eine »grundsätzliche Kurswende hin zu mehr Nachhaltigkeit und sozialer Gerechtigkeit« vertan wird.
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