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Der Mann, der nie herrschen sollte
Die Geschichte Baschar al-Assads ist eine von Leid, Hoffnung und brutaler Unterdrückung
Eigentlich sollte Baschar al-Assad nie Präsident der Syrischen Arabischen Republik werden. Doch nach dem Tod seines älteren Bruders Basil bei einem Autounfall 1994 wurde der studierte Augenarzt aus London zurückbeordert, um in die Fußstapfen seines Vaters Hafiz al-Assad zu treten. Wie so viele Länder hatte Syrien zu der Zeit Schwierigkeiten, sich nach dem Zerfall der Sowjetunion, die über Jahrzehnte als größter und wichtigster Verbündeter galt, an die neue Weltordnung anzupassen. Die Wirtschaft bröckelte, es herrschten Versorgungsengpässe und die Regierung reagierte mit Gewalt, um drohende Unruhen bereits im Keim zu ersticken.
Nach dem Tod Hafiz al-Assads im Jahr 2000 übernahm dann der junge, als modern geltende Baschar das Land. Die Verfassung wurde geändert, um seine Nachfolge zu ermöglichen; das Mindestalter für einen Präsidenten auf 34 Jahre heruntergesetzt. Nach einer fadenscheinigen Wahl, in der Baschar al-Assad mit 97 Prozent bestätigt wurde, kam jedoch der Aufschwung. In seinen ersten Herrschaftsjahren galt er vor allem als Präsident der jungen Leute, ja gar als Reformator. Allein schon die Wahl seiner Ehefrau hatte Signalwirkung: Asma al-Assad ist nicht nur in Großbritannien aufgewachsen und strahlt jene Moderne aus, die man üblicherweise als europäisch versteht, sie stammt zudem aus der Bevölkerungsmehrheit der Sunniten. Die Ehe war damit auch eine Kampfansage an das Vorurteil, die Assads würden nur ihre eigenes Klientel innerhalb ihrer Glaubensgemeinschaft der Alawiten begünstigen, während die Mehrheit leiden muss.
Assad schlug Töne an, die vor allem junge Menschen hören wollten. Während die Bevölkerung sich öffentlich so frei äußern konnte wie noch nie zuvor, unternahm der junge Präsident viel, um den Eindruck zu erwecken, man räume auch im Inneren der Regierung auf. Einkaufsausflüge der Elite in den benachbarten Libanon etwa wurden öffentlichkeitswirksam unterbunden, dazu wurde die Nähe zu Europa und den USA gesucht, um Investitionen anzukurbeln. Die Rede war damals vom »Damaszener Frühling« und aus dem Mann, der nie herrschen sollte, wurde der große Hoffnungsträger. Mit diversen Staatsorden ausgezeichnet wurde Assad dafür nicht nur von traditionellen Partnern wie Russland und Venezuela, sondern auch von Finnland, Italien und Frankreich.
Im Hintergrund führte er jedoch den brutalen Sicherheitsapparat weiter, den sein Vater aufgebaut hatte. Doch im Gegensatz zu heute war damals keine Kritik aus Washington oder Brüssel zu vernehmen. Im Gegenteil: Während Assad das US-amerikanische Schauspielerpärchen Brad Pitt und Angelina Jolie empfing und die Zeitschrift »Vogue« seine Frau auf dem Titelblatt zeigte, ließ er im Auftrag der USA Terrorverdächtige foltern. Auch der deutsche Auslandsgeheimdienst BND agierte im berüchtigten Folterknast des syrischen Militärgeheimdienstes. Man profitierte von Assad wirtschaftlich wie auch politisch, der als zuverlässiger Partner im Kampf gegen den internationalen Terrorismus galt, und ließ ihn dafür im Inland frei gewähren.
Kurz vor Ausbruch des sogenannten Arabischen Frühlings 2011 war vom Aufschwung nur noch wenig zu spüren. Anstatt wie am Anfang noch mit Reformen Kritik entgegenzuwirken, überwog nun die Unterdrückung. Zehntausende Menschen gelten bis heute als vermisst; Kritiker wurden reihenweise ermordet, selbst im Ausland. So etwa der linke syrisch-libanesische Autor Samir Kassir, der 2005 nach der Veröffentlichung seines Buches »Das Arabische Unglück« im Libanon durch eine Autobombe des syrischen Geheimdienstes starb.
2011 schwappte dann die revolutionäre Stimmung auch auf Syrien über. So löste etwa die Entführung und brutale Misshandlung mehrerer Jugendlicher in der Stadt Dar'a im Süden des Landes Massenproteste aus, die nicht zuletzt wegen der brutalen Reaktion der Sicherheitskräfte eskalierten.
Was folgte, ist ein über neun Jahre andauernder Krieg: Fast die Hälfte der 21 Millionen Syrer ist geflohen, entweder ins Ausland oder in andere Landesteile. Mindestens eine halbe Millionen Menschen sind tot. Assad schien 2014 bereits am Ende seiner Kräfte, doch dann entschlossen sich Russland und Iran, ihre Unterstützung für Assad immens zu erweitern. Militärisch hat der Präsident nun wieder die Oberhand, nur noch im Norden des Landes haben andere das Sagen. Was am Anfang reine Regierungspropaganda war, um friedliche Demonstranten zu denunzieren, wurde zu einer traurigen Wahrheit: Selbst nach dem Ende der Terrormiliz Islamischer Staat sind ein Großteil der noch kämpfenden Rebellen islamistische Milizen, wie die Hayat Tahrir asch-Scham, die mit türkischer Unterstützung Teile der Provinz Idlib kontrolliert. Im Nordosten kontrolliert die mehrheitlich kurdische Demokratische Selbstverwaltung Nord- und Ostsyriens fast ein Drittel des Landes, unter anderem die größten Erdölvorkommen, wo sich die USA mit mehreren Militärbasen niedergelassen haben.
Trotz militärischem Erfolg haben schwerwiegende Sanktionen der EU und den USA die Wirtschaft und damit das Land an den Rand des Kollapses gebracht. Auch Auseinandersetzung innerhalb der Assad-Familie sorgen für Turbulenzen, so etwa zwischen Assad und seinem Cousin, dem Milliardär Rami Makhlouf, der vor Kriegsbeginn rund 60 Prozent der Wirtschaftsleistung kontrollierte. Die Zukunft Syriens ist deshalb weiterhin unsicher. Manche sehen Assad so fest im Sattel wie noch nie, andere glauben, dass er sich durch die Sanktionen in seiner bislang schwächsten Lage seit Kriegsbeginn befindet. Auch die Fakten sprechen eine zweideutige Sprache: Im vergangenen Juni gab es so wenig zivile Kriegsopfer wie seit 2012 nicht mehr. Gleichzeitig sind neue Proteste ausgebrochen, unter anderem in Sweida, südlich von Damaskus. Dort waren auf den Straßen die gleichen Rufe zu hören, die 2011 den Beginn des Krieges einläuteten: »Das Volk will den Sturz des Regimes.«
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