- Politik
- Homeoffice
Verlierer sind die Armen, die Frauen und die Jungen
Auch nach Corona wird sich Homeoffice zunehmend durchsetzen. Das bedroht weltweit Millionen Jobs.
Coronavirus und Social Distancing haben in den vergangenen Monaten Tausende Arbeitnehmer in die eigenen vier Wände verbannt. Ihre Arbeitskraft konnten die Unternehmen dennoch nutzen: per Homeoffice. Mit dem Abflauen der Pandemie kehren viele Beschäftigte zwar wieder in die Büros und Fabriken zurück. Doch ein Zurück zur alten Normalität wird es vermutlich nicht geben. Denn die Unternehmen entdecken den mobilen Arbeitsplatz als Rationalisierungsreserve. Dem Trend zum Homeoffice können einige Arbeitnehmer folgen. Für Millionen andere jedoch bedroht er ihren Job und ihr Einkommen. Betroffen sind vor allem: die Jungen, die Frauen, die Armen.
Laut einer Untersuchung des Ifo-Instituts haben viele deutsche Unternehmen während der Pandemie Homeoffice erstmals genutzt. Diese Neuorganisation der Arbeit werde aller Wahrscheinlichkeit nach nicht vollständig rückgängig gemacht werden, prognostizieren die Ökonomen. 56 Prozent der Beschäftigten in Deutschland könnten laut Studie zeitweise von zu Hause arbeiten. Knapp über die Hälfte der Unternehmen in Deutschland, so das Ifo-Institut, wolle Homeoffice dauerhaft stärker etablieren.
Das ist kein Wunder. Denn die Arbeit von zu Hause schützt das Unternehmen vor Geschäftsverlusten. Zudem »machen Unternehmen zunehmend die Erfahrung, dass auch unter den neuen Rahmenbedingungen kaum Produktivitätsverluste auftreten«, erklärt die DZ Bank. Hinzu komme das Bewusstsein für enorme Einsparpotenziale, zum Beispiel wenn das Reisen wegfalle oder generell die Anzahl der zu unterhaltenden Büroarbeitsplätze abnehme. Der Vorstand von Siemens hat daher diese Woche beschlossen, dass mehr als die Hälfte der Mitarbeiter künftig an zwei bis drei Tagen pro Woche nicht mehr ins Büro oder ins Werk muss», sagte Siemens-Personalmanager Jochen Wallisch.
Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat in einer globalen Studie untersucht, wie die Pandemie auf die abhängig Beschäftigten wirkt. «Covid-19 verwüstet die Arbeitsmärkte weltweit», warnt Fonds. Millionen von Menschen hätten ihren Job verloren, viele Arbeitnehmer stünden vor einer unsicheren Zukunft. Denn das Social Distancing bedrohe Jobs, die physische Präsenz und direkten Kontakt benötigten. «Wer nicht von zu Hause oder aus der Entfernung arbeiten kann, dem drohen Arbeitsplatzverlust, Kurzarbeitergeld oder eine Absenkung der Arbeitsstunden», so der IWF. Es sei «wenig überraschend», dass die größten Belastungen ausgerechnet auf jene zukämen, «die am wenigsten in der Lage sind, sie zu tragen».
Das zeigt zum einen ein Vergleich zwischen den Ländern: Insgesamt sieht der IWF etwa 15 Prozent aller Jobs bedroht, weil sie nicht aus der Entfernung zu erledigen seien. Überproportional viele davon finden sich jedoch in den ärmeren Ländern, weil dort die technische Infrastruktur fehlt: Was in Westeuropa per Computer stattfinden kann, dafür braucht man in Lateinamerika den Kundenkontakt. «Telearbeit ist wesentlich einfacher in Norwegen, Finnland, Irland und Singapur als in der Türkei, Chile, Mexiko, Ecuador oder Peru», schreibt der IWF, «schlicht weil mehr als die Hälfte der Haushalte in den meisten Entwicklungs- und Schwellenländern keinen Computer zu Hause haben.» In den europäischen Ländern seien vor allem Arbeitnehmer aus Griechenland und Italien im Nachteil.
Darüber hinaus bestehen wesentliche Unterschiede zwischen den einzelnen Branchen. Beispiel Einzelhandel, wo der Online-Kauf den Supermarktbesuch leicht ersetzen kann. «Ein beträchtlicher Teil von dem ins Internet verlagerten Umsatz dürfte auch in der Post-Corona-Ära nicht mehr ins Ladengeschäft zurückkehren», prognostiziert die DZ Bank. Damit sind insbesondere die Jobs im Handel bedroht, darüber hinaus auch in den Bereichen Wohnen, Beherbergung und Nahrungsmittel, weil sie sich laut IWF am wenigsten zur Telearbeit eignen.
Unterschiede bestehen aber auch zwischen den Bevölkerungsgruppen. Hier gilt das gleiche: Je ärmer, umso gefährdeter ist der Job. Junge Arbeitnehmer und jene ohne Universitätsabschluss sind im Durchschnitt deutlich seltener in der Lage, per Homeoffice zu arbeiten, erklärt der IWF. Besonders hart könnte es die Frauen treffen, weil sie überproportional häufig in jenen Sektoren arbeiten, die durch Social Distancing betroffen sind: Beherbergung, Unterkunft und Lebensmittel. Zudem tragen sie einen größeren Anteil der Arbeit für Kinderbetreuung und der Haushalt.
Einem besonderen Risiko sind laut IWF aber auch prekäre Jobs wie Teilzeit oder Zeitarbeit in kleinen und mittleren Firmen ausgesetzt. Denn sie würden als erste gestrichen, wenn die Zeiten schlechter werden. Beschäftigte in prekären Verhältnissen oder im informellen Sektor hätten zudem auch einen schlechteren Zugang zu Gesundheitsleistungen, seien schlechter versichert und verfügten kaum über Ersparnisse.
«Dass Arbeiter am unteren Ende der Einkommenspyramide am wenigsten in der Lage sind, ihren Job aus der Entfernung auszuführen, wird auch durch die jüngsten Arbeitsmarktdaten aus den USA und anderen Ländern belegt», so die IWF-Ökonomen. Daraus schließen sie: «Die Covid-19-Krise wird die globale Ungleichheit verstärken.» Der Währungsfonds fordert daher zwar eine Stärkung der sozialen Sicherung. Gleichzeitig aber ist er «eine Organisation, die seit Jahrzehnten den Abbau von Sozialleistungen durchsetzt», merkt der Wirtschaftsjournalist Norbert Häring auf seinem Blog an.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.