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Sozialmieten könnten steigen
Stadtentwicklungsverwaltung legt Gesetzentwurf vor, der Vermieter freuen dürfte
Mitten in der parlamentarischen Sommerpause überrascht die Stadtentwicklungsverwaltung mit einem Entwurf für die Novellierung des Wohnraumgesetzes Berlin, das den Rechtsrahmen für die Sozialwohnungen und besonders für die dort möglichen Mieten vorgibt. Es werde »eine Regelungslücke im Sozialmietrecht geschlossen und sichergestellt, dass für alle geförderten Objekte, die erklärte Mietabsenkung durch alle Eigentümerinnen und Eigentümer und deren Rechtsnachfolgerinnen und Rechtsnachfolgern dauerhaft weiterzugeben ist«, erklärte Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke) am Dienstag.
Hauptmotivation ist die Neuregelung der zulässigen Miethöhe im alten sozialen Wohnungsbau. Dabei geht es um knapp 99 000 Sozialwohnungen. Die landeseigene Investitionsbank Berlin (IBB) sei »als Förder- und Mietpreisstelle im sozialen Wohnungsbau in den letzten Jahren vermehrt mit Mietpreisverstößen konfrontiert worden«, heißt es im Gesetzentwurf, der »nd« vorliegt. Jedoch hätten die Hauseigentümer argumentiert, dass »Verstöße gegen die Verpflichtungsmiete in Ermangelung eines Verstoßes gegen die Kostenmiete« nicht sanktioniert werden könnten. 2019 ist nach IBB-Angaben der Anteil überhöhter Mieten gegenüber 2018 von 6 auf 14 Prozent deutlich gestiegen.
Nach nd-Informationen geht es dabei unter anderem um den Fall von 99 Sozialwohnungen an Maybachufer und Manitiusstraße in Neukölln. Ende 2017 verschickte der Hauseigentümer mit Hinweis auf die Kostenmiete Mieterhöhungen um bis zu ein Drittel. Die verlangten 9,82 Euro lagen offenbar über der sogenannten Verpflichtungsmiete, deren Höhe zwischen IBB und Hauseigentümer vereinbart, die allerdings in der Regel nicht öffentlich gemacht wird. Erst im Februar 2019 kam es zu einem Vergleich in diesem Fall, über den »nd« intensiv berichtet hatte.
Doch an der Berechnung der Kostenmiete wird auch mit dieser Novellierung nichts geändert. »Nach freiwilliger vorzeitiger vollständiger Rückzahlung der öffentlichen Aufwendungsdarlehen sind zusätzliche Ansatzverzichte auf Kapitalkosten für Fremdmittel nicht zu erbringen«, heißt es auch im Gesetzentwurf zur Novellierung. Zu Deutsch: Bereits zurückgezahlte Darlehen können als fiktive Kosten weiter in die Miete eingerechnet werden. Sebastian Jung vom Netzwerk Mieterstadt.de fordert »die Abschaffung der Entschuldungsgewinne für alle Sozialwohnungen. Insbesondere bei den Wohnungen ohne Anschlussförderung sind die Mieten deshalb so hoch, weil in die Mietenberechnung Kapitalkosten auf Fremdmitteldarlehen einfließen, die längst getilgt sind.«
Seit Langem beschäftigt Jung sich mit dem alten sozialen Wohnungsbau, einem für Mieter und Senat kostspieligen und schweren Erbe des West-Berliner Baufilzes, von dem in zum Teil obszöner Weise die einstigen Bauherren und Eigentümer der Objekte profitieren.
Sie habe ihre Verwaltung »beauftragt, Optionen zur grundsätzlichen Reform des Kostenmietrechts weiter zu prüfen«, lässt Lompscher etwas lapidar wissen. Bereits im April hatte Wohnen-Staatssekretär Sebastian Scheel (Linke) gegenüber »nd« erklärt, »so schnell wie möglich einen weiteren Versuch zu unternehmen, die Berechnung der Kostenmieten landesrechtlich zu regeln«. Linke-Wohnungspolitiker Michail Nelken ließ durchblicken, dass dies mit einer einfachen Verordnung möglich sein könnte.
»Der Gesetzentwurf löst leider wieder nicht die drängenden Probleme des Sozialen Wohnungsbaus, sondern schafft sogar weitere«, kritisiert Sebastian Jung. »So sollen sogar neue Mieterhöhungstatbestände geschaffen und Anreize für Eigentümer gesetzt werden, sich außerplanmäßig und vorfristig der Sozialbindungen zu entledigen.« Sollte die Gesetzesänderung so im Parlament beschlossen werden, könnten in gewissen Fällen Eigentümer die Kosten sogenannter außerplanmäßiger Instandsetzungsarbeiten auf Mieter abwälzen, sogar wenn sie durch Vernachlässigung der Objekte die Kosten verursacht haben. Nach der derzeitigen Regelung ist das ausgeschlossen. Werden Darlehen vorzeitig zurückgezahlt, kann mit der Novellierung die jährliche Mieterhöhung von 13 Cent pro Quadratmeter weiter verlangt werden, obwohl das derzeit noch ausgeschlossen ist.
»Konkrete Lösungsvorschläge zur gesamten Thematik der fiktiven Kosten im sozialen Wohnungsbau liegen seit Jahren auf dem Tisch - und werden immer wieder aus fadenscheinigen Gründen ignoriert. Das muss sich dringend ändern«, fordert Jung.
Tatsächlich ist die Neuregelung der Mieten im alten sozialen Wohnungsbau einer der Streitpunkte, die Rot-Rot-Grün nicht vom Tisch bekommt. Die nun vorgelegte Novelle der Stadtentwicklungsverwaltung ist der sechste Anlauf. Ursprünglich wollte die Koalition noch im ersten Regierungsjahr das Gesetz vorlegen.
Was aus dem aktuellen Anlauf wird, muss sich zeigen. Die Grünen sind schon mal skeptisch. »Die Erfahrung lehrt, dass man Risiken und Nebenwirkungen von neuen Regelungen im sozialen Wohnungsbau ganz genau unter die Lupe nehmen muss, bevor diese beschlossen werden können«, sagt deren wohnungspolitische Sprecherin Katrin Schmidberger. Nach erster Einschätzung werde der vom Senat beschlossene Gesetzentwurf den von der Koalition gesteckten sozial- und wohnungspolitischen Zielen nicht gerecht und müsse im parlamentarischen Verfahren überarbeitet werden. »Die nicht zu rechtfertigenden sogenannten Entschuldungsgewinne, die seit Jahren für hohe Mieten sorgen, müssen für alle Sozialwohnungen - also insbesondere auch für die Wohnungen ohne Anschlussförderung - rechtssicher verboten werden«, fordert sie. Außerdem müssten die Informationsrechte der Mieter*innen deutlich gestärkt werden, und Mietforderungen müssen zukünftig von unabhängiger Seite auf ihre Zulässigkeit hin überprüft werden können.
Derzeit handeln IBB und Hauseigentümer mögliche Mieterhöhungen wegen größerer Instandhaltungsmaßnahmen unter sich aus. So wie der Großvermieter Accentro in der Kreuzberger Johanniterstraße 3-6. Klagemöglichkeiten der Mieter sieht das Gesetz überhaupt nicht vor.
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