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Kinderarmut hat System
Analyse verdeutlicht: Aufwachsen in Armut begrenzt, beschämt und bestimmt das Leben
Mehr als jede*r fünfte unter 18-Jährige in Deutschland wächst in Armut auf. Davon sind nicht nur diejenigen betroffen, bei denen mindestens ein Elternteil Arbeitslosengeld bekommt, sondern auch Kinder von einkommensarmen Familien. Für zwei Drittel der Betroffenen ist dies sogar ein dauerhafter Zustand. Eine am Mittwoch veröffentlichte Analyse der Bertelsmann-Stiftung kommt außerdem zum Ergebnis, dass die Situation für Kinder und Jugendliche durch die Coronakrise noch verschärft werden könnte.
Die wirtschaftlichen Folgen der Krise treffen arme Familien und diejenigen im unteren Einkommensbereich besonders hart. Sie arbeiten häufiger in Teilzeit oder als Minijobber und gehören deswegen zur Gruppe, die als erste ihre Jobs verlieren oder wenig oder gar kein Kurzarbeitergeld erhalten. Die Analyse kommt auch zu dem Schluss, dass die Kinder- und Jugendarmut trotz jahrelanger »teils sehr guter« wirtschaftlicher Entwicklung, und obwohl es viele Reformen gab, »ein ungelöstes strukturelles Problem in Deutschland« bleibe. Die negativen Folgen sind laut Analyse vielfältig: Rund ein Viertel kann sich beispielsweise nicht ab und zu neue Kleidung kaufen, 20 Prozent erhalten aus finanziellen Gründen kein Taschengeld, viele haben keine Vereinsmitgliedschaft und kommen nicht aus ihrem Umfeld heraus. Betroffene junge Menschen ziehen sich eher von politischen Aktivitäten zurück und fühlen sich insgesamt weniger zugehörig zur Gesellschaft. Sie haben geringere Bildungschancen, fühlen sich in der Gesellschaft unsicherer als andere und werden häufiger ausgegrenzt, gehänselt oder erleben Gewalt.
Als Schlussfolgerung wird von den Autor*innen der Studie gefordert, Kinder und Jugendliche selbst zu fragen, was für sie zu gutem Aufwachsen und Teilhabe dazu gehört. Dieses Wissen fehle bisher. Kinder und Jugendliche haben das Recht, als Expert*innen gehört zu werden. Nur so könnten ihre eigenen, spezifischen Bedarfe und Interessen bei der Bekämpfung von Armut berücksichtigt werden. Auf dieser Grundlage sowie weiteren Daten und wissenschaftlichen Befunden müsste die Gesellschaft eine Debatte darüber führen, welche finanzielle Absicherung Heranwachsenden zur Verfügung gestellt werden muss. Diese sollte eine »normale oder durchschnittliche« Kindheit und Jugend ermöglichen, nicht lediglich ein Existenzminimum zusichern. Die Absicherung sollte im Rahmen einer Kindergrundsicherung oder eines Teilhabegelds erfolgen.
Für Bernd Riexinger, Co-Vorsitzender der Linken, ist an der Situation nicht Corona schuld: »Verantwortlich sind die, die dafür sorgen, dass die Eltern der Kinder in unsicheren schlecht bezahlten Arbeitsverhältnissen stecken.« Deshalb seien die Stärkung von Arbeitnehmerrechten und die Anhebung des Mindestlohns notwendig. Die Einführung einer Kindergrundsicherung hätte das Problem längst abgeschafft: »Kinderarmut ist immer ein Armutszeugnis für eine Gesellschaft.«
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