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Todesschüsse statt psychiatrischer Unterstützung
Im August 2019 starb in Niedersachsen der 19-jährige Aman A. durch Polizeikugeln. Sein Bruder wehrt sich gegen Verfahrenseinstellung
Eine Schreinerlehre hatte der aus Afghanistan geflüchtete Aman A. begonnen, eine Unterkunft hatte er im niedersächsischen Stade gefunden. Bewohner des Ortsteils Bützfleth kannten ihn als freundlichen jungen Mann.
Vor knapp einem Jahr verlor A. mit nur 19 Jahren sein Leben. Am Abend des 17. August 2019 trafen ihn fünf Kugeln, abgefeuert von einem Polizisten. Einer der Schüsse war laut Staatsanwaltschaft Stade tödlich. Zum Polizeieinsatz war es wegen einer von Anwohnern gemeldeten Streiterei gekommen. Gegen den Beamten, der auf Aman A. gefeuert hatte, wurde danach ein Ermittlungsverfahren eröffnet. Ende Juni wurde aber bekannt, dass die Staatsanwaltschaft Stade dieses bereits am 15. Juni eingestellt hat. Begründung: Der Beamte habe in Notwehr gehandelt.
Das sieht der Bruder des Getöteten anders. Sein Anwalt legte deshalb jetzt Beschwerde gegen die Verfahrenseinstellung ein. Nun muss die Generalstaatsanwaltschaft in Celle die Entscheidung prüfen. Die Stader Behörde geht unterdessen weiter von einer »glasklaren Notwehrsituation« aus, wie ein Sprecher am Mittwoch betonte. Sollte die Beschwerde gegen die Verfahrenseinstellung abgewiesen werden, bliebe indes noch ein Klageerzwingungsverfahren.
Rückblick: An besagtem Augustabend hatte jemand die Polizei mit dem Hinweis alarmiert, in dem Haus, in dem Aman A. wohnte, gebe es eine Auseinandersetzung, ausgelöst von dem jungen Afghanen. Zwei Streifenwagen rückten an, Beamte betraten die Wohnung des Flüchtlings, der laut Polizei mit einer Hantelstange auf sie losgegangen sei. Was dann geschah, schildert die Staatsanwaltschaft so: »Der Einsatz von Pfefferspray durch mehrere Polizisten zeigte keine Wirkung, so dass einer der Beamten seine Dienstwaffe einsetzte und zur Unterbindung des Angriffs auf den Angreifer schoss.«
Amans Bruder leuchtet indes die Notwendigkeit von fünf Schüssen nicht ein. Er beauftragte einen Hamburger Rechtsanwalt mit der Anfechtung der Einstellung des Verfahrens gegen den Todesschützen. Der Jurist führt unter anderem das gerichtsmedizinische Gutachten ins Feld, das auch auf den Schusswinkel des tödlichen Treffers eingeht.
Der NDR zitierte den Anwalt mit der Aussage, durch die Expertise sei es erwiesen, dass sich der Polizist und der Flüchtling zum Zeitpunkt des entscheidenden Schusses nicht mehr auf Augenhöhe, also auch nicht in »Angriffposition«, gegenüber gestanden haben. Folglich liege keine Notwehr vor, der Beamte müsse wegen des Verdachts auf Totschlag angeklagt werden. Der Sprecher der Staatsanwaltschaft wies diese Darstellung zurück: Der Anwalt habe die Erkenntnisse aus dem Gutachten »unseriös und verkürzt dargestellt«.
Unterdessen fordert auch der Flüchtlingsrat Niedersachsen eine Wiederaufnahme der Ermittlungen. Er erinnerte in einer Erklärung daran, dass Aman A. psychisch erkrankt war und dies der Polizei bekannt gewesen sei. »Warum hat man dann nicht versucht, zusammen mit dem sozialpsychiatrischen Dienst die Situation zu lösen?«, fragt der Flüchtlingsrat. Eine Lokalzeitung zitierte die Staatsanwaltschaft mit der Aussage, die Polizisten hätten versucht, beruhigend auf Aman A. einzuwirken. Dann aber, so der Flüchtlingsrat, sei der Einsatz von Pfefferspray nicht nachvollziehbar. Zudem hält die Organisation es für fraglich, dass A. »trotz des Pfefferspraynebels« einen Angriff starten konnte, auf den die Beamten nur mit Schüssen reagieren konnten.
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