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Justizversagen
Bewährungsstrafe für den ehemaligen KZ-Wachmann Bruno D.
Mit zwei Jahren Haft auf Bewährung für den ehemaligen KZ-Wachmann Bruno D. blieb die Jugendstrafkammer des Landgerichts Hamburg noch unter dem Antrag der Staatsanwaltschaft, die drei Jahre Haft gefordert hatte. Richterin Anne Meier-Göring ging in ihrer Urteilsbegründung vor allem auf die damalige Situation von D. ein, der mit 17, später mit 18 Jahren mit anderen Wachleuten die Aufgabe hatte, Ausbruchs- oder Aufstandsversuche von Häftlingen im Konzentrationslager Stutthof bei Danzig (heute Gdańsk) niederzuschlagen. D. wurde gleichwohl der Beihilfe zum Mord in 5230 Fällen und wegen Beihilfe zum Mordversuch für schuldig befunden.
Während der Urteilsverkündung hielten Mitglieder des Auschwitz-Komitees Hamburg vor dem Strafjustizgebäude eine Mahnwache ab. »Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!« stand auf einem Transparent. Eine der Teilnehmerinnen zeigte sich vom Urteil enttäuscht: »Ich finde es schwierig; ich hätte ihn für seine Taten nicht auf Bewährung verurteilt. Man hätte ihm immer noch aufgrund seines Alters Haftverschonung gewähren können.«
Richterin Meier-Göring ging auch auf die bei NS-Verbrechen bekannte Selbstverharmlosungsstrategie ein. Täter beteuerten immer wieder, von Gräueltaten nichts gewusst zu haben und gäben an, sie hätten bei Befehlsverweigerung selbst in großer Gefahr geschwebt. So ging letztlich auch die Verteidigung von Bruno D. vor. Laut Gericht berief sich D. auf einen »Verbotsirrtum«, wonach er geglaubt habe, 1944/1945 sei seine Tätigkeit im KZ nicht strafbar gewesen. Diese Argumente ließ die Richterin nicht gelten. Auch als 18-Jähriger hätte der ehemalige Wachmann die Entwürdigung der Menschen im KZ wahrnehmen können - und dass dort »vor Ihren Augen furchtbares Unrecht geschah«.
»Ich weiß eigentlich nicht, wie man das nicht sehen kann«, hielt Meier-Göring dem 93-Jährigen vor. »Sie sahen die ausgemergelten Leichen, Dutzende und Dutzende jeden Tag.« Weil das Krematorium nicht mehr ausreichte zur Verbrennung der Leichen, stapelten sich diese auf dem KZ-Gelände. Während einer Fleckfieberepidemie starben im Lager Tausende, verhungerten, wurden vergast oder erschossen. Die Richterin betonte, dass der SS-Wachmann die Möglichkeit gehabt hätte, den Dienst im KZ zu quittieren und sich zur Wehrmacht zu melden. D. könne sich nicht auf einen »befohlenen Befehlsnotstand« berufen. »Die Menschen im Lager taten Ihnen Leid«, nahm die Richterin eine Formulierung von Bruno D. auf, der die Opfer des KZ Stutthof in seiner Abschlusserklärung am Montag um Entschuldigung gebeten hatte. Meier-Göring befand jedoch: »Eine echte Gefühlsregung war bei Ihnen nicht zu erkennen.« D. habe »ohne wirkliche Anteilnahme« von den Betroffenen gesprochen. Nicht »weil er gefühllos war, sondern als Folge eines Abstumpfungsprozesses«, so die Richterin. D. hatte unter anderem beteuert: »Ich musste da Wache stehen, da konnte ich nichts machen.«
Die Richterin ging detailliert auf die Gefühlslage des damals 18-Jährigen ein, der eine Entwicklung zur Verrohung durchgemacht habe, zumal er mit »älteren, skrupellosen SS-Männern mit einer langen Gewalterfahrung« zusammen gewesen sei. In seiner Kompanie seien die »schlimmsten Nazis« gewesen, die keinerlei Empathie für die »ausgemergelten, zerlumpten Gestalten« empfunden hätten und diese auch noch verhöhnten. Der Angeklagte sei dazu erzogen worden, Befehle zu befolgen, und er habe sich seiner gewalttätigen Umgebung angepasst, sagte Meier-Göring. Für ihn spreche vor allem sein damals junges Alter. Den Nebenkläger*innen dankte dir Richterin dafür, dass sie über die Verhältnisse im KZ Stutthof Rechenschaft ablegten. Die Aussagen blieben der Nachwelt durch Mitschnitte erhalten.
Mit klaren Worten ging die Richterin mehrfach auf die Nachkriegsjustiz ein, die Naziverbrechen entweder gar nicht oder nur zögerlich verfolgte. Sie sprach vom »Versagen der deutschen Justiz, so dass sich Deutschland noch einmal gegenüber den Opfern schuldig gemacht hat«. Erst seit zehn Jahren sei es rechtlich möglich, auch die Gehilfen beim Völkermord anzuklagen. Mit Blick auf Bedenken wegen des hohen Alters des Angeklagten sagte Meier-Göring: »Die Frage kann nicht sein: Warum jetzt noch, sondern: Warum jetzt erst?«
Für den Stutthof-Überlebenden Marek Dunin-Wasowicz, einen der Nebenkläger, zählt die Entschuldigung des Angeklagten nicht. »Ich brauche das nicht«, sagte er am Mittwoch der Nachrichtenagentur AFP. Der ebenfalls 93-Jährige war jedoch berührt von den Äußerungen von Bürgern ihm gegenüber während des Prozesses: »Sie kamen, um im Namen ihrer Großväter, ihrer Väter um Vergebung zu bitten. Ich war geschockt. Das hatte ich nicht erwartet.«
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