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Den Westen einholen
Vor 60 Jahren erklärte Kwame Nkrumah Ghana zur unabhängigen Republik.
Am 1. Juli 1960 wurde Ghana eine unabhängige Republik - und Kwame Nkrumah der erste Präsident des westafrikanischen Landes. Diese Entwicklung war entscheidend für Ghana, das seit der Unabhängigkeit 1957 eine konstitutionelle Monarchie unter britischer Krone gewesen war. Nun wurde das Westminstermodell zugunsten eines an den USA orientierten Systems mit einer starken Präsidentschaft abgelöst. Das erlaubte Nkrumah, Einmischungen seitens der britischen Krone auf die ehemalige Kolonie weiter einzuschränken; und seine eigene Macht zu stärken.
Bereits als Nkrumah in den späten 1940er Jahren die politische Bühne der damaligen Goldküste betrat, nannten ihn seine Gegner und Kritiker aus Ghana und dem Ausland einen Populisten und Diktator. Seine Anhänger hingegen verehrten ihn als »Messias« des afrikanischen Nationalismus und des Pan-Afrikanismus. Zweifellos war er der Protagonist des Unabhängigkeitskampfes gewesen und hatte als Premierminister der Goldküste die politische und ökonomische Entwicklung des Landes maßgeblich beeinflusst. Zwischen 1951 und 1957 entwickelte Nkrumah seine Vision von Ghana auf der Grundlage einer staatlich geförderten Entwicklung, die das Land industrialisieren und den Grundstein für eine sozialistische Gesellschaft legen sollte.
Matteo Grilli ist Historiker an der Universität des Freistaates in Bloemfontein, Südafrika. Er ist spezialisiert auf die politische Geschichte Ghanas und Südafrikas. Sein Buch »Nkrumaism and African Nationalism: Ghana’s Pan-African Foreign Policy in the Age of Decolonization« (Nkrumahismus und Afrikanischer Nationalismus. Ghanas Panafrikanische Außenpolitik im Zeitalter der Dekolonisation) erschien bei Palgrave Macmillan. Das Buch ist bislang nur auf Englisch erhältlich.
Foto: privat
Afrikanischer Sozialismus
Im Laufe seiner Jugend an der Goldküste (1909-35) und in den USA (1935-45) hatte sich Nkrumah mit einem breiten Spektrum politischer Bewegungen auseinandergesetzt, von der extrem Rechten bis zur extrem Linken. Erst seine Begegnung mit dem Pan-Afrikanisten George Padmore 1945 sollte Nkrumahs Vorstellung einer sozialistischen, nationalistischen und pan-afrikanischen Gesellschaft besiegeln. Padmore wurde, so die Historikerin Ama Biney, zu Nkrumahs Chefstrategen und ideologischem Architekten. Während er sicherstellte, dass Nkrumah dem Kommunismus als solchem fernblieb, verabreichte er ihm, so der Soziologe John Gibbs St. Clair Drake, eine »Injektion Marxismus«, um seine »christliche und afrikanisch-mystische Orientierung« abzuschütteln. Padmore legte das Fundament für Nkrumahs pan-afrikanische Außenpolitik - und brachte ihn dazu, die ghanaische Unabhängigkeit mit der Befreiung des gesamten afrikanischen Kontinents zu verbinden. Er ging davon aus, dass nur ein vereinigtes Afrika mit föderalen Staaten und zentraler Regierung (nach Vorbild der USA oder der UdSSR) eine Befreiung vom (Neo-)Kolonialismus bringen könnte.
Mit Anleihen bei Marx, Ghandi, Schwarzem Nationalismus und Pan-Afrikanismus begann Nkrumahs politische Vision Formen anzunehmen. Innenpolitisch setzte er zwischen 1951 und 1957 auf Modernismus, Industrialisierung, Anti-Tribalismus und Sozialismus. Um seine Ziele zu erreichen, arbeitete er als Premierminister zunächst eng mit dem britischen Kolonialgouverneur Charles Noble Arden-Clarke zusammen. Die Idee für Nkrumahs gewagtestes Modernisierungsprojekt, der Volta-Stausee (Volta River Projekt), stammte aus Kolonialzeiten. Und auch die britische Erfindung des »Cocoa Marketing Boards«, das die Kakaopreise regulieren sollte, wollte er sich zunutze machen, um seine Industrialisierungspläne zu finanzieren und die stark vom Kakao abhängige ghanaische Wirtschaft zu diversifizieren.
Padmore und Nkrumah waren überzeugt, dass nur der Staat in der Lage war genügend Kapital zu erwirtschaften, um das Land tatsächlich zu industrialisieren. Denn die einheimische Mittelschicht war - bedingt durch das koloniale Monopol britischer Firmen, die zumeist in Großbritannien produzieren ließen und deren Profite nicht nach Ghana flossen - kaum existent. Ihr erklärtes Ziel war es, ein sozialistisches System aufzubauen, und die Ungleichheit in der Gesellschaft zu verringern. Doch sie mussten bis zur Unabhängigkeit Ghanas 1957 warten, bis sie ihre Idee eines sozialistischen Landes, angepasst an afrikanische Bedingungen, verwirklichen konnten. Heraus kam kein kommunistischer Staat nach osteuropäischem, russischem oder chinesischem Vorbild, sondern ein »dritter Weg« zwischen freiem Markt und Staatssozialismus - der afrikanische Sozialismus.
Noch in den ersten zwei Jahren der Unabhängigkeit blieb Nkrumahs wirtschaftlicher und politischer Kurs pro-westlich orientiert. Doch 1959, dem zehnten Jahrestag seiner Convention People’s Party (CPP), und kurz vor Padmores Tod, kündigte er einen Kurswechsel an: Die Partei solle »restrukturiert« und ihr eine »neue ideologische Richtung« gegeben werden. Eine radikalere Form des Sozialismus sollte die einheitliche Modernisierung des Landes ermöglichen. Die Umwandlung Ghanas in eine Republik im Juli 1960 war dafür ein entscheidender Schritt.
Als Präsident tat Nkrumah alles in seiner Macht stehende, um seinen Traum von einem sozialistischen Ghana zu verwirklichen. Dazu brachte er auch die Opposition zum Schweigen - und machte Wahlen zu einem leerem Versprechen. Was viele seiner Beobachter eine Diktatur nannten, bezeichnete Nkrumah selbst als »parlamentarische Demokratie des Volkes«, bei der er und seine Partei angeblich den Willen der Bevölkerung vertraten. Im Januar 1964 schließlich machte er Ghana offiziell zu einem Einparteienstaat. Oder, wie es der Historiker Paul Nugent formulierte, einem »Kein-Parteien-Staat«, bei dem die Bedeutung der Bürokratie und des Präsidenten jene der Partei bei weitem überstiegen. Interessanterweise rechtfertigten auch andere sozialistische afrikanische Regierungschefs wie Kenneth Kaunda (Sambia) und Julius Nyerere (Tansania) diesen Schritt, um dem »Willen des Volkes« auf der Grundlage afrikanischer Traditionen Ausdruck zu verleihen.
Der »Kein-Parteien-Staat«
Doch die endgültige Transformation Ghanas in einen sozialistischen Staat besiegelte Nkrumahs berühmte Radioansprache »Dawn Broadcast« im April 1961. Im Zuge dessen begann er, seine Verbindungen mit dem Osten zu stärken. Mit den Methoden der Planwirtschaft wollte er das Land möglichst schnell industrialisieren und der Ökonomie Antrieb verleihen -, um letztlich die Unabhängigkeit vom Kakaoexport zu erreichen. Zwar blieb Ghana, auf kurze Sicht, ein uneinheitliches System, in dem private Investitionen und Industrien weiterhin erlaubt blieben, doch ein Großteil der Wirtschaft fiel in die Hände des Staates. Finanziert durch die Profite der Kakaoindustrie, entstanden verstaatlichte Landwirtschafts- und Industriebetriebe im ganzen Land. Dabei glich er - so beteuerte Nkrumah immer wieder - den theoretischen Marxismus-Leninismus an die speziellen Bedürfnissen der Entwicklung Ghanas und die Bedingungen des afrikanischen Kontinents an. Der Sozialismus war für ihn ein notwendiges Mittel, um die humanistischen und egalitären Prinzipien afrikanischer Gesellschaften wiederherzustellen. Jahre später versuchten auch Kaunda mit seinem »Humanismus« und Nyerere mit seinem »Ujamaa« (Swahili: Dorfgemeinschaft) afrikanische Sozialismen zu entwickeln; doch diese unterschieden sich deutlich von Nkrumahs Vision.
Insbesondere Nyerere sah den Schlüssel zum afrikanischen Sozialismus in der Entwicklung einer dörflichen Landwirtschaft, nicht in der Industrialisierung, wie Nkrumah es stets gepredigt hatte. Der Historiker Paul Nugent bewertet Nyereres Version rückblickend als tatsächlich »humanistisch und egalitär«, Nkrumahs hingegen als »ökonomistisch« und »utilitaristisch«. Sozialismus bedeute für letzteren nicht das universelle Streben nach der Gleichheit aller Menschen, sondern den »schnellsten Weg, um die entwickelte Welt einzuholen«. Sozialismus war für ihn gleichbedeutend mit Modernität.
Seit 1957 war Ghana zum Vorbild für Unabhängigkeitskämpfe in ganz Afrika geworden, und Nkrumahs pan-afrikanische Pläne erreichten eine große, fast religiöse, Anhängerschaft. Doch nach der Kongokrise und dem Aufstreben nun unabhängiger frankophoner Staaten Anfang der 1960er Jahre begann sein Einfluss auf dem afrikanischen Kontinent zu schwinden. 1966, dem Jahr seines politischen Sturzes durch einen westlich gestützten Putsch, standen die meisten afrikanischen Führungsfiguren seinen pan-afrikanischen Plänen gleichgültig, wenn nicht gar feindlich gegenüber. Und ein großer Teil der ghanaischen Bevölkerung war seine autokratische Regierung und seine sozialistische Politik, die zu Inflation und gesunkenen Einkommen geführt hatte, leid, und begrüßte den Putsch. Ras Makonnen, der unter Nkrumah als Chef der staatlichen Bäckereibetriebe und des »African Affairs Centres« gearbeitet hatte, sah das Scheitern des Nkrumaismus in Ghana in der gesellschaftlichen Verfasstheit begründet: »Wie sollte man Sozialismus aufbauen, ohne Sozialisten?«
Das Jahr 1960 markiert einen Wendepunkt in der Geschichte Ghanas und ganz Afrikas. In der Rückschau repräsentiert es zugleich den Höhepunkt der Macht und den Beginn des Falls dieser wichtigen Figur des 20. Jahrhunderts. Die Folgen der Nkrumah’schen Regierung sind in Ghana bis heute sichtbar. Das von ihm aufgebaute republikanische System ist immer noch intakt, ebenso seine Modernisierungsprojekte. Nkrumahs Ideologie hat in der Zwischenzeit viele afrikanische Befreiungsbewegungen beeinflusst, seine pan-afrikanischen Ideen gewannen in den Jahrzehnten nach seinem politischen Fall noch an Einfluss. Nkrumahs Person bewertete der Afrikanist Ali Mazrui einmal folgendermaßen: Wegen seiner Exzesse nach der Unabhängigkeit sei er zwar kein großer Ghanaer - aber sein Festhalten an pan-afrikanischen Ideen mache ihn zu einem großen Afrikaner.
Übersetzung: Ulrike Wagener
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