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Hausarrest nach Coming-out
Seit Juni wird ein Mann von seinen Eltern in Kasachstan gewaltsam festgehalten. Nun kümmert sich eine Menschenrechtsanwältin um den Fall. Von Othmara Glas
Von der eigenen Familie beleidigt, eingeschüchtert, geschlagen: Für Beksat Mukaschew begann mit seinem Coming-out ein Alptraum. Mehrmals versuchte der junge Mann, aus seiner Heimatstadt Uralsk im Westen Kasachstans zu fliehen. Doch dann kam Corona. Die Grenzen wurden geschlossen, Mukaschew saß fest. Drei Monate lang konnte er sich in seiner Heimatsstadt verstecken, bis ihn seine Eltern fanden. Seitdem werde er gewaltsam von ihnen festgehalten, klagt sein Freund Arman Chassanow. Als er Mitte Juni seine verzweifelte Videobotschaft in den sozialen Medien veröffentlicht, hat er seit neun Tagen nichts mehr von Mukaschew gehört. Mittlerweile arbeitet ein ganzes Team an dessen Befreiung. Eine bekannte Menschenrechtsanwältin hat den Fall übernommen, der schon international Schlagzeilen machte.
Wer in Kasachstan offen zugibt, dass er homosexuell ist, lebt gefährlich, denn Homophobie ist weit verbreitet. Anfeindungen, Diskriminierung und Gewalt prägen den Alltag vieler Homosexueller, Queer- und Transgenderpersonen (LGBTIQ). Staatliche Institutionen bieten kaum Schutz. Laut einer 2018 durchgeführten Umfrage des kasachischen Gesundheitsministeriums und des Republikanischen Zentrums für Prävention und Kontrolle von Aids gibt es in Kasachstan etwa 62 000 Männer, die Sex mit Männern haben - bei 18 Millionen Einwohnern. Das US-Außenministerium veröffentlichte im vergangenen Jahr einen Bericht, nach dem 48 Prozent der Mitglieder der LGBTIQ-Community Kasachstans bereits Erfahrungen mit Hasskommentaren und Gewalt gemacht haben.
Die Dunkelziffer dürfte jedoch viel höher liegen, ist sich Amir Schaikeschanow sicher. »Natürlich wird die Zahl viel höher sein als in jedem Bericht angegeben«, sagt der LGBTIQ-Aktivist aus Kasachstans größter Stadt Almaty. »Viele Menschen sind nicht bereit, darüber zu reden.« Schaikeschanow ist Mitbegründer des Onlinemediums »Kok.Team«, das sich speziell an die LGBTIQ-Szene in Kasachstan richtet, und hat in Almaty das Projekt »Safe Space« ins Leben gerufen. Bis zu Beginn der Coronakrise war »Safe Space« ein sicherer Ort für LGBTIQ-Personen, der regelmäßige Treffen und einen Austausch ermöglichte. »Es gab Beratungen zu sicheren Sexpraktiken, eine Bibliothek, Brettspiele. Nun bieten wir einige Onlineformate an.« Zwar existieren auch weiterhin Clubs und Bars, wo man sich treffen könne, aber eben keinen ausgewiesenen Ort mehr.
Die größten Probleme sieht Schaikeschanow in der Diskriminierung und in Hasskommentaren. »Für das Innenministerium fällt Hate Speech unter die freie Meinungsäußerung.« Als kürzlich ein bekannter kasachischer Kampfsportler schrieb, LGBTIQ-Personen seien »schlimmer als Hunde«, wurde er international kritisiert. In Kasachstan gab es hingegen kaum Widerspruch. Außerdem fehle es an Ressourcen und Unterstützung für LGBTIQ-Gruppen, so Schaikeschanow.
Wenn LGBTIQ-Personen Opfer von Gewalt werden, bleibt die Polizei oft untätig. So war es auch bei Mukaschew und Chassanow. In einem Interview mit »Kok.Team« schilderten sie im Februar ihre schwierige Lage. Sie erzählten, wie Mukaschews Eltern eine Ehe für ihren Sohn arrangierten, wie er sich dazu entschied, sich zu outen, wie sein Vater ihn dafür krankenhausreif prügelte. Es folgten einige Fluchtversuche. Doch der Vater, ein einflussreicher Unternehmer und Lokalpolitiker in Uralsk, fand ihn jedes Mal und ließ ihn zurück in die Großstadt nahe der russischen Grenze bringen.
Dass sich Familien für einen schwulen Verwandten schämen, ist keine Seltenheit. Im muslimischen Kasachstan spielen Tradition und ein starkes Männlichkeitsbild nach wie vor eine wichtige Rolle. Dabei ist das Land im Vergleich zu seinen zentralasiatischen Nachbarn relativ weit, was LGBTIQ-Rechte angeht. Seit 1998 stehen gleichgeschlechtliche Beziehungen nicht mehr unter Strafe; seit 2003 ist es erlaubt, das Geschlecht im Ausweis zu ändern. Vor fünf Jahren kippte der Oberste Gerichtshof Kasachstans ein Gesetz zum Verbot »homosexueller Propaganda«, ähnlich dem in Russland. Doch um beispielsweise sein Geschlecht juristisch ändern zu können, sind eine Geschlechtsumwandlung, Psychotherapie und Sterilisation vorgeschrieben.
Die Anzahl der LGBTIQ-Aktivisten in Kasachstan ist überschaubar. Auch gibt es keine Gemeinschaft an sich. »Es existiert keine große Organisation, die alle vertritt«, so Schaikeschanow. »Es gibt verschiedene Gruppen, die sich auf ihre Themen spezialisieren.« Eine davon ist die feministische Initiative Feminita, die sich für die Belange von lesbischen, bisexuellen, queeren und behinderten Frauen sowie Sexarbeiterinnen einsetzt.
Im vergangenen Jahr unterstützte die Gruppe eine Klage von zwei Frauen, die dabei gefilmt worden waren, wie sie sich küssten. Das Video war auf Facebook gestellt worden. Die Kommentare reichten von Beleidigungen bis hin zu Morddrohungen. Selbst auf der Straße wurden die beiden Frauen erkannt und angegriffen. Sie verklagten daher den Mann, der das Video veröffentlicht hatte. Es folgte ein monatelanger Rechtsstreit, an dessen Ende der Oberste Gerichtshof den Frauen eine Entschädigung zusprach, weil das Video ihre Persönlichkeitsrechte verletzt habe. Das Urteil war ein großer Erfolg für Kasachstans LGBTIQ-Gemeinschaft.
Auch Chassanow wird weiter für die Freiheit seines Freundes kämpfen. Er hat erreicht, dass die Menschenrechtsanwältin Aiman Umarowa Beksats Fall übernimmt. Sie erhebt schwere Vorwürfe gegen die Behörden. »Wenn er nicht schwul wäre, wäre die Polizei schon längst tätig geworden«, sagt sie. Umarowa hat nun das Innenministerium eingeschaltet.
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