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Der bewaffnete Arm der Wutbürger
Der Attentäter von Halle inszeniert sich als einsamer Wolf, ist aber Teil eines globalen rechten Netzwerks
Wer oder was ist ein »weißer Krieger«? Die Frage stellte ein Anwalt der Nebenklage am zweiten Tag des Prozesses gegen den Attentäter von Halle. Stephan B., der am 9. Oktober 2019 schwer bewaffnet durch die Stadt in Sachsen-Anhalt gezogen war; der am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur ein Blutbad in der Synagoge anrichten wollte und nach dem Scheitern dieses Planes auf der Suche nach »Feinden« Sprengsätze auf einen Imbiss warf; der kaltblütig zwei Menschen erschoss und weitere schwer verletzte, zuckt die Schultern. Weißer Krieger? Das seien zwei Wörter, nichts weiter, sagt er. Ein Konzept? Ein Ideal? Davon wisse er nichts.
Stimmt nicht, sagt Kristin Pietrzyk. Sie ist eine von 21 Anwältinnen und Anwälten, die B. in Saal C 24 des Landgerichts Magdeburg gegenüber sitzen und 43 Opfer und Betroffene des Anschlags vertreten. Teils gemeinsam mit ihren Mandanten müssen sie über Stunden die in herrischem Ton vorgetragenen Ausführungen des Angeklagten ertragen: Verschwörungsmythen über die »Verdrängung« der weißen Europäer durch Muslime; Sätze wie: »Übrigens ist der Feminismus jüdisch!«; weitschweifige Fehleranalysen über seine selbst gebauten Waffen.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Die Art, wie B. in der Verhandlung auftrete; der Umstand, dass er diese allen juristischen Nachteilen zum Trotz als Bühne für die Verbreitung seiner Theorien ansehe und auf Ratschläge seiner beiden Verteidiger offenkundig pfeife: all das, sagt Pietrzyk, erinnere sie an andere, die sich ebenfalls als »weiße Krieger« sahen: den norwegischen Rechtsterroristen Anders Breivik etwa, der am 22. Juli 2011, zufällig exakt neun Jahre vor diesem zweiten Verhandlungstag gegen Stephan B., 77 Menschen in Oslo und auf der Insel Utoya ermordete. Oder Brenton Tarrant, der am 15. März 2019 im neuseeländischen Christchurch in zwei Moscheen 51 Menschen ermordete. Das im Umfeld der Tat im Internet veröffentlichte Manifest Tarrants namens »Der große Austausch« habe er einen Tag nach dem Anschlag in Christchurch gelesen, sagt B., der vor seiner Tat ebenfalls ein erklärendes »Dokument« ins Netz stellte. »Auf Breivik und Tarrant«, sagt Pietrzyk, »bezieht er sich äußerst positiv.«
Ein Waffenarsenal von potenziell verheerender Wirkung
Der Mann, gegen den seit diesem Dienstag vor dem 1. Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts von Sachsen-Anhalt verhandelt wird und den nicht die örtliche Staatsanwaltschaft angeklagt hat, sondern der Generalbundesanwalt, weil die Taten angetan seien, grundlegende gesellschaftliche Werte wie das friedliche Miteinander der Religionen zu erschüttern - dieser Mann gilt laut Anklageschrift als Einzeltäter. Und zweifellos war B. am 9. Oktober in Halle allein unterwegs: in Tarnkleidung und Helm, ausgerüstet mit acht Gewehren und Maschinenpistolen, mit Messern, einem Schwert, Dutzenden Sprengsätzen, vielen hundert Schuss Munition. Es war ein Arsenal von potenziell verheerender Wirkung, die nur deshalb ausblieb, weil Maschinengewehre immer wieder klemmten und Sprengsätze nicht zündeten. Er habe »grandios versagt«, sagt B.
Sehr wahrscheinlich hat er die Tat auch auf sich gestellt vorbereitet: am Computer im Kinderzimmer bei seiner Mutter im mansfeldischen Benndorf, in dem der 28-Jährige nach abgebrochenem Chemiestudium noch immer lebte; am 3D-Drucker im Haus seines Vaters. B. zeichnet von sich vor Gericht das Bild eines absoluten Einzelgängers mit soziopathischen Zügen: ohne Freunde schon in der Schule; misstrauisch gegen andere und vor allem jede Art von politischer Gruppierung, weil dort ohnehin »nur Verfassungsschutzleute« seien. Habe er Helfer gehabt?, fragt die Vorsitzende Richterin Ursula Mertens an einer Stelle. B. lacht höhnisch: »Ich kenne niemanden gut genug, um mit ihm einen Terroranschlag durchzuführen.«
Nicht wenige freilich halten die These, es habe sich um einen Einzeltäter gehandelt, mit dessen absehbar lebenslänglicher Inhaftierung die Gefahr gebannt sei, für höchst gefährlich - und für ebenso irreführend wie Erklärungsversuche, die den Täter als »Psychopathen« stempeln und als »Verlierer«, der im Leben nichts auf die Reihe bekommen habe und aus Frust ausgetickt sei. Pietrzyk erlebt den Angeklagten in der Verhandlung als »äußerst kaltblütig, sehr manipulativ und erstaunlich steuerungsfähig«. Sein Kalkül sei, jede Frage als Chance zu nehmen, um seinerassistische Ideologie erneut auszubreiten. Es ist die von einem »Kampf« um ein »weißes« Europa, für den angeblich »kein friedlicher Weg gelassen« werde und der unterbinden solle, was B. abschätzig als »Verbraunung« bezeichnet: Migration und der Zuzug von Menschen anderer Kulturen.
Mit dieser Vorstellung ist B. alles andere als allein. Allerdings, sagt Pietrzyk, müsse man sich von der Vorstellung trennen, dass Netzwerke nur auf Konzerten, Demonstrationen und Kameradschaftsabenden geknüpft werden könnten. Die Rolle übernähmen inzwischen genauso so gut Imageboards und Foren im Internet: »Das ersetzt bisherige Orte der Kommunikation komplett«, betont die Anwältin. Täter wie Stephan B., der »Internet« quasi als sein einziges Interessengebiet angibt, würden in Foren »ideologisch genauso gestützt« wie in traditionelleren rechten Netzwerken. Dass B. diese als eine Art Heimat betrachtet, wurde deutlich, als ein Anwalt ihn aufforderte, Adressen entsprechender Internetseiten zu nennen. Er weigerte sich: »Ich schütze meine eigenen Leute.«
Online vernetzt in einer Alt-Right-Community
Das Netzwerk, in dem Täter wie B. sich so verorten, ist nicht auf ein Dorf oder ein Land beschränkt, sondern reicht weit darüber hinaus. Er sei, heißt es in einem Blog von Nebenklagevertretern, mit einer »online ›alt-right‹ community vernetzt, die auch schon die Terrorangriffe von Christchurch, Poway, El Paso und Oslo« und viele weitere Angriffe auf Juden, Muslime, Schwarze Menschen und Frauen »weltweit inspiriert und angeregt« habe und die solche in den sozialen Netzwerken weiterhin »feiert und ermutigt«. Dass B. sich als Teil einer solchen weltumspannenden Gemeinschaft Gleichgesinnter sieht, bestätigte er im Prozess etwa, indem er einräumte, sich mit seinem aus eigener Sicht dilettantischen Vorgehen »global lächerlich gemacht« zu haben. Dass jeder der »guys«, die er in seinem direkt ins Internet übertragenen Tatvideo adressiert, neben dem Töten auch die Pannen live miterlebte, wiegt um so schwerer, als Täter wie B. die mediale Verbreitung der Anschläge als bedeutsamer empfinden als diese selbst: »Die Übertragung ist wichtiger als die Tat an sich«, sagte er - weil sie Nachahmer anstacheln und bestärken soll. Nebenklageanwältin Pietrzyk geht davon aus, dass selbst weitschweifige waffentechnische Ausführungen B.s vor Gericht in diesem Kontext zu sehen sind - weil dieser hoffe, dass spätere Täter davon profitieren. Auf die Frage einer Anwältin, was er aus der Tat gelernt habe, sagte B., er kenne jetzt »die Mündungsenergie meiner Maschinenpistole«. Ob die Tat ein »wertvoller Beitrag« zum vermeintlich notwendige Kampf gewesen sei?, wollte sie weiter wissen. Andere, erwiderte B., wüssten jetzt: »So sollte man es nicht tun.«
Doch das Netzwerk des Attentäters von Halle umfasst mehr als nur die virtuell vernetzte, extrem gewaltbereite globale Rechte. Eingebettet ist er auch in rechte Diskurse, wie sie in Benndorf, Halle, Magdeburg und anderswo in der Bundesrepublik an Orten gepflegt werden, die B. eher nicht aufsucht: an Stammtischen, auf Demonstrationen, in Parlamenten. Sie drehen sich um Thesen wie die von der angeblichen »Flüchtlingswelle« des Jahres 2015 als epochalem Bruchereignis: Zu dem Zeitpunkt habe er sich »entschieden, nichts mehr für diese Gesellschaft zu tun«, sagte der Angeklagte. Sie stützen sich daneben auf Behauptungen wie die von der angeblichen »Gesinnungsdiktatur« oder »verengten Meinungskorridoren«.
Er habe »schon in der Schule gewusst, dass es in Deutschland Tabuthemen gibt, die man nicht ansprechen kann«, sagte B.; einer Partei habe er sich auch deswegen nicht angeschlossen, »weil man in Deutschland seine Meinung nicht frei sagen« dürfe. Das Gleiche, sagt Anwältin Kristin Pietrzyk, höre man freilich »auf jeder AfD-Kundgebung und bei jedem Spaziergang von Pegida«. Der Attentäter von Halle teilt diese »Sorgen« der sogenannten Wutbürger - und entschloss sich, mit Gewalt die angeblichen Ursachen zu bekämpfen. »Einer muss anfangen«, sagte er vor Gericht. Der Terror, in dem der Entschluss mündete - er zeigt nach Meinung von Anwältin Pietrzyk, »wie tödlich diese ›Sorgen‹ sind.«
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