- Politik
- Portland
»Krieg« um die Ordnung
Bei den Protesten in Portland gibt es viel Entschlossenheit, aber auch viel Show.
Die Bilder der letzten Tage aus den USA ähneln sich und sie ändern sich. Da waren einerseits die schwarz gekleideten eher jungen Protestler und die in Tarnkleidung agierenden paramilitärischen Einheiten mehrerer Bundesbehörden, darunter das US-Heimatschutzministerium und der Grenzschutz. Immer wieder stürmten Letztere aus dem Bundesgerichtsgebäude in Portland heraus, trieben Protestierende auseinander, die auch über 50 Tage nach den ersten Aktionen allabendlich Black-Lives-Matter-Demonstrationen organisieren und immer wieder gegen das Gerichtsgebäude vorrücken.
Doch seit vergangenem Wochenende protestieren wieder mehr Menschen, darunter auch in in Weiß und Gelb gekleidete Mütter. Unter dem Titel »Müttermauer« hatte eine Frau in einer Facebook-Gruppe aufgerufen, sich schützend vor die Protestierenden zu stellen, über 70 Frauen erschienen am nächsten Tag. Seitdem sind die mit Fahrrad- und anderen Helmen ausgerüsteten Mütter zahlreicher und Teil des täglichen Protests geworden. Auf dem Kurznachrichtendienst Twitter wurde der Auftritt der Mütter wohlwollend als ein Versuch der positiven Nutzung weißer Privilegien gedeutet, schließlich spiele die »Unschuldigkeit« und die »Heiligkeit weißer Mütter« eine große Rolle in der Kultur von Amerikas Konservativen, so die schwarze Soziologin Zoé Samudzi.
Doch selbst die betont friedlichen Mütter wurden in den vergangenen Nächten mit Tränengas und Schlagstöcken angriffen. Sie sind nun immer besser ausgerüstet, etwa mit Atemschutzmasken. Später zeigten Bilder auf sozialen Medien auch Mütter mit Schildern. Mittlerweile gibt es eine entsprechende Vätergruppe. Das zeigt zum einen Solidarisierung mit den Forderungen der schwarzen und jugendlichen Protestierenden nach einem Abzug der Bundesbeamten und Polizeireformen. Zum anderen aber auch, wie sehr generationenübergreifende alternative Kultur die Stadt prägt. »Hallo Elliot«, habe ein Mann in den schwarzen Block gerufen, »Hallo Dad«, habe es zurückgeschallt, berichtete eine Twitter-Nutzerin.
Beobachter wie der Journalist Sergio Olmos berichten von zunehmendem Selbstbewusstsein bei den Protestierenden, die schon kurze Zeit nach dem Einsatz von Tränengas zurückkehren, die Gas mittlerweile mit Handlaubbläsern vertreiben und immer effektiver Schildwälle bilden, um sich vor Gummigeschossen zu schützen. Immer wieder werden nun Hongkong-Vergleiche gezogen. Bei den allabendlichen Protesten gibt es auf beiden Seiten eine langsame Eskalation. Bundesbeamte setzen offenbar aus immer kürzerer Distanz vermeintlich »nicht-tödliche« Projektilgeschosse ein, die bereits mindestens einen Menschen schwer verletzt haben. Junge Schwarzgekleidete versuchten wiederholt den Eingang zum Gericht zu verbarrikadieren, Bundesbeamte bauen Zäune und Betonpoller zum Schutz des Gerichtsgebäudes auf, Demonstranten versuchen die Zäune einzureißen.
Beide Seiten haben sich regelrecht eingerichtet in ihren Positionen. Die Protesterienden und Demokraten auf der einen, die Bundesagenten und Republikaner auf der anderen. »Show-Authoritarismus« nennt das Magazin »The Atlantic« das, was die Trump-Regierung in Portland und jetzt auch landesweit betreibt - für einen harten Crackdown, eine echte Unterdrückung der Proteste sind bislang zu wenig Einheiten im Einsatz, doch die produzieren die gewünschten Bilder.
Im rechten Fernsehsender Fox News wird vor Gesetzlosigkeit und Verbrechen in Amerikas Städten gewarnt. Im Fowx-News-Interview erklärte Heimatschutzminister Chad Wolf, er brauche »keine Einladung der Bürgermeister« für den Truppeneinsatz und werde seinen »Job machen, ob es ihnen gefällt oder nicht«. US-Präsident Donald Trump - der mit Law and Order seine Wiederwahl fördern will - erklärte, er werde Bundesbeamte auch in Chicago sowie in Albuquerque in New Mexico einsetzen.
In beide Städte sollen jeweils 35 Beamte von verschiedenen Bundesbehörden entsandt werden. Auch in Kansas City sollen 200 »Feds« gemeinsam mit lokalen Polizeibehörden gegen Gewaltkriminalität vorgehen. Zusätzlich soll sich ein Team von Bundesbeamten auch in Seattle bereithalten. Die Bürgermeisterin von Chicago erklärte, »Kooperation« mit den Bundesbeamten sei willkommen, ein Einsatz gegen Protestierende dagegen nicht.
Demokraten-Politiker haben sich wortreich gegen den Einsatz der »Feds« in Portland gewandt, mehrere Klagen wurden eingereicht. Die Bürgerrechtsorganisation ACLU etwa klagt gegen die US-Regierung wegen des Einsatzes von Gummigeschossen, Tränengas, Pfefferspray, Schlagstöcken und Schockgranaten gegen Demo-Sanitäter. Im US-Kongress haben die Demokraten mehrere Gesetze beschlossen, die autoritäre Crackdowns erschweren sollen, die aber keine Chance haben, im republikanisch regierten US-Senat Zustimmung zu finden.
Insgesamt ähnelt die Situation der Auseinandersetzung um »sanctuary cities« in den letzten Jahren, in der sich demokratisch regierte Städte und Staaten zum Zufluchtsort für Migranten erklärten und versuchten, sich gegen das Abschieberegime der Trump-Regierung zu stellen.
Die Demokraten stehen sowohl vor Ort wie auch landesweit auch von links unter Druck. Als Portlands Bürgermeister Ted Wheeler sich Mittwochnacht dem Protest anschloss und bevor er später ebenfalls von Bundesbeamten mit Tränengas beschossen wurde, gab es zwar Beifall, als er die Faust in den Himmel reckte, »Black Lives Matter « rief und von »urbaner Kriegsführung« sprach.
Doch Wheeler, der auch »Police Commissioner« ist, wurde auch ausgebuht. Erst mit einer Klage hatten Aktivsten einen weitgehenden Verzicht auf Tränengaseinsatz durch die lokale Polizei erreicht. Sie werfen Wheeler vor, die Bundesbeamten quasi in die Stadt eingeladen und sich mit diesen koordiniert zu haben, bevor er, angesichts der Videos von entführungsartigen Festnahmen in unmarkierten Fahrzeugen und des landesweiten Medieninteresses, sich gegen deren Präsenz stellte und die »Feds« zum Verlassen der Stadt aufforderte.
Lesen Sie auch: Law-and-Order ist tot, nein untot - Kommentar zur Wahlstrategie von Donald Trump.
Am Mittwoch beschloss der Stadtrat von Portland ein Verbot für die Polizei der Stadt, mit Bundeseinheiten zu kooperieren oder Journalisten und juristische Beobachter festzunehmen. Vor vier Wochen hat der Rat das Polizeibudget der Stadt um sechs Prozent reduziert. Die Black-Lives-Matter-Demonstranten wollen eine 50-Prozent-Kürzung und ein Investment der Gelder besonders in schwarzen Nachbarschaften sowie den Rücktritt des Bürgermeisters.
Auch auf Bundesebene macht die Demokraten-Parteilinke Druck. Der Congressional Progressive Caucus forderte die Parteiführung auf, zunächst keinen neuen Haushalt für das Heimatministerium zu beschließen. Kritiker fordern dessen Auflösung. Der ehemalige Redenschreiber für Demokraten-Politiker Bernie Sanders, David Sirota, wirft den Demokraten vor, ihre Macht im Kongress kaum zu nutzen. Black-Lives-Mater-Aktivisten in Portland bemängeln »performative«, also oberflächliche Anti-Trump-Politik bei Wheeler und anderen Demokraten.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.