Erster Zeuge - und noch ein Geständnis

Die dritte Verhandlungswoche um den Mord an Walter Lübcke beginnt

  • Johanna Treblin
  • Lesedauer: 4 Min.

Jetzt will er also sagen, wie es wirklich war. Nachdem im Oberlandesgericht in Frankfurt am Main bereits drei Vernehmungsvideos von Stephan Ernst, dem mutmaßlichen Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, vorgespielt worden waren, will Ernst nun selbst aussagen. In dieser Woche könnte es soweit sein, das Gericht hat den Freitag für eine »Einlassung« des Hauptangeklagten geblockt. Ernsts Verteidiger Frank Hannig hatte in einem seiner Youtube-Videos Anfang Juli noch daran gezweifelt, ob die Zeit reiche, um noch für den 30. Juli eine Aussage vorzubereiten. Ob er dann auch tatsächlich mündlich aussagt oder einen seiner Pflichtverteidiger für sich sprechen lässt, ob er frei spricht oder einen Text vorliest, all das ist noch unklar. Auf eine Anfrage von »nd.DerTag« antwortete Anwalt Hannig nicht.

Doch in der dritten Verhandlungswoche im Prozess um den Mord an Lübcke und den versuchten Mord an Ahmad I. steht zunächst anderes auf der Tagesordnung: Am Montag will der Nebenklageanwalt Alexander Hoffmann sein Statement zu den Vernehmungsvideos von Stephan Ernst abgeben. Zu erwarten ist, dass er nicht wie die Anklage der Bundesanwaltschaft das erste Geständnis als das richtige und wahre ansieht und das zweite als unglaubwürdig abtut, sondern herausarbeitet, welche Teile aus den beiden Geständnissen sich zu einem stimmigen Bild vervollständigen lassen. Darüber hinaus wird es vermutlich darum gehen, die Aussagen von Ernst - und seine Tat - in einen Kontext einzubetten, der aufzeigt, dass Ernst nicht im luftleeren Raum agiert hat, sondern eingebettet in eine rechte Szene, die ihn zur Tat ermutigt hat. Auch die Verteidigung will sich zu den Vernehmungsvideos äußern.

Für Dienstag ist der erste Zeuge geladen: Jan-Hendrik Lübcke, der Sohn des Toten, soll aussagen. Er hatte seinen Vater in der Nacht vom 1. auf den 2. Juni 2019 auf der Terrasse seines Hauses aufgefunden.

Warum Ernst trotz der drei gezeigten Vernehmungsvideos nun noch einmal vor Gericht aussagen will, liegt vermutlich daran, dass beide bisherigen Geständnisse daran zweifeln lassen, dass er die volle Wahrheit gesagt hat. Im ersten Geständnis, das Ernst im Juli 2019 abgegeben und kurz darauf - mit neuem Verteidiger - widerrufen hatte, spielte er die Rolle des Mitangeklagten Markus H. auffällig herunter. Im zweiten Geständnis taten sich viele Widersprüche auf, die Ernst auch auf Nachfragen nicht auflösen konnte. »Wie soll ich das erklären«, war eine häufige Formulierung von Ernst in den Vernehmungsvideos. So konnte er nicht plausibel machen, warum er zunächst einen Mord gestanden hatte, wenn es sich doch lediglich um einen Unfall gehandelt haben sollte. Ernst sagte, sein damaliger Anwalt habe ihn zum Geständnis überredet, im Gegenzug habe dieser zugesagt, seine Familie finanziell zu unterstützen. Auf Nachfrage nannte er als Finanzier die »Gefangenenhilfe«, eine rechtsextreme Nachfolgeorganisation der Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene (HNG), die 2011 verboten wurde. Auch sagte Ernst, er habe in der Szene als Märtyrer gelten wollen. Gleichzeitig behauptete er, er habe das Bild von sich als »Psychonazi« zeichnen wollen.

Auch erschloss sich nicht, warum H. und er am 1. Juni 2019 mit falschen Nummernschildern fuhren und extra die Handys zu Hause ließen, um nicht geortet werden zu können - aber sich für die angeblich lediglich geplante »Abreibung« des CDU-Politikers Lübcke keine Masken aufsetzten, um unerkannt zu bleiben. »Daran haben wir nicht gedacht«, sagte Ernst dazu bloß lapidar.

Seine angekündigte weitere Aussage wird voraussichtlich ein paar erhellende Details über die Vorgeschichte offenbaren. Solange Ernst aber dabei bleibt, dass H. und er zwar gemeinsam am Tatort waren, Lübcke aber nur drohen wollten und sich ein Schuss aus der - wohlgemerkt geladenen - Waffe in der Hand von H. vermutlich versehentlich löste, wird man der Wahrheit kaum näherkommen.

Interessant könnte es werden, wenn der der »psychischen Beihilfe« angeklagte Markus H. aussagt. Doch ob er das jemals tun wird, wollte sein Verteidiger Björn Clemens im Anschluss an den fünften Prozesstag Anfang Juli weder bestätigen noch verneinen. Der beharrt immer noch auf der Unschuld seines Mandanten, hatte zu Beginn des Prozesses dessen Freilassung und Aufhebung des Haftbefehls gefordert. Seine Karten stehen nicht so schlecht wie die von Ernst. Während Ernsts DNA am Tatort gefunden wurde, scheint es keine Beweise zu geben, dass auch der Mitangeklagte Markus H. am Tattag vor Ort war.

Alle Texte zum Thema: dasnd.de/luebcke

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