»Die Anträge sind alle gequirlter Unsinn«

Der mutmaßliche Lübcke-Mörder Ernst will seinen Verteidiger loswerden. Auch der Richter hält wenig von dessen Anträgen

  • Johanna Treblin
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein wenig langweilig klang es, was am ersten Verhandlungstag nach der Sommerpause auf der Tagesordnung des Prozesses gegen Stephan Ernst und Markus H. im Mordfall Walter Lübcke stand: die Verlesung von Urkunden. Doch bevor es überhaupt dazu kam, wurde es laut. Frank Hannig, der Verteidiger von Stephan Ernst, stellte mehrere Anträge, die der Vorsitzende Richter Thomas Sagebiel »gequirlten Unsinn« nannte. Er zweifelte an Hannigs Verteidigungsstrategie – und nach einer Pause stellte Ernst über seinen zweiten Anwalt Mustafa Kaplan den Antrag, Hannig zu entpflichten.

Was war passiert? Hannig verlas im Namen seines Mandanten mehrere Anträge. Er forderte, den Einbruch in das Regierungspräsidium Kassel, wo Lübcke tätig gewesen war, im Verfahren zu berücksichtigen. Dort seien Akten durchwühlt und möglicherweise gestohlen worden. Darunter könnten Akten zur Solarfirma von den Söhnen Walter Lübckes sein oder auch andere Akten, die für den Mordfall von Interesse sein könnten. Außerdem forderte Hannig, mittels eines Funkzellenabrufs herauszufinden, ob ein oder zwei ehemalige Kollegen von Stephan Ernsts letzter Arbeitsstelle in der Tatnacht vor Ort waren.

Richter Sagebiel fragte Hannig, ob die Anträge mit dem Mandanten abgesprochen seien. Hannig verneinte. Daraufhin sagte Sagebiel: »Herr Ernst, ich habe die Sorge, dass Sie nicht ordentlich verteidigt werden.« Er versicherte Ernst, dass er trotzdem ein faires Verfahren zu erwarten habe. Dann erklärte er: »Die Anträge sind alle gequirlter Unsinn.« Sie hätten keine Aussicht auf Erfolg, da sie »keinen vernünftigen Bezug« zum Fall hätten. Sagebiel fragte zudem, ob Hannig auf eine rechtsterroristische Vereinigung hinauswollen.

Das beantwortete Hannig nicht, sagte aber, er glaube nicht, dass Ernst fünf Jahre nach der Rede von Lübcke im Oktober 2015 immer noch einen Groll gegen ihn gehegt und ihn deshalb ermordet habe. Es müsse ein anderes Motiv geben.

Lübcke hatte auf einer Bürgerversammlung, um über ein neues Flüchtlingsheim in Lohfelden in der Nähe von Kassel zu informieren, gesagt: »Es lohnt sich, in unserem Land zu leben. Da muss man für Werte eintreten, und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist. Das ist die Freiheit eines jeden Deutschen.«

Auf die Bitte Sagebiels hin meldeten sich auch andere Verfahrensbeteiligte zu Wort. Staatsanwalt Dieter Killmer erklärte, auch er habe Zweifel an der Verteidigung, wenn Anträge vorgebracht würden, die nicht mit dem Mandanten abgesprochen seien. Die bisherigen Vernehmungen von Ernst hätten kein Motiv im Sinne von Wirtschaftskriminalität ergeben.

Schließlich ergriff Verteidiger Kaplan das Wort. Er erklärte, die Anträge seien weder mit ihm noch seinem Mandanten abgesprochen worden. »Davon distanzieren wir uns ganz ausdrücklich.« Besonders der erste Antrag widerspreche den Interessen seines Mandanten. Darin werde den Angehörigen des Toten vorgeworfen, in krumme Geschäfte verwickelt zu sein. »Mein Mandant hat kein Interesse daran, dass die Angehörigen mit Dreck beworfen werden.«

Nach einer Verhandlungspause von etwa 30 Minuten erklärte Kaplan im Namen seines Mandanten, Ernst wolle Hannig als Verteidiger entbinden, da das Vertrauensverhältnis erheblich gestört sei. Hannig habe keine Strategie, außer Youtube-Videos hochzuladen. Die Richter wollten noch am Nachmittag über den Antrag entscheiden und die Entscheidung am Dienstag mitteilen. Dann soll auch ein Sohn von Lübcke aussagen, der seinen Vater in der Nacht zum 2. Juni 2019 auf der Terrasse des Wohnhauses der Familie tot aufgefunden hatte.

Stephan Ernst ist Hauptangeklagter. Markus H. ist der psychischen Beihilfe angeklagt, weil er Ernst zu der Tat ermutigt haben soll. Es ist laut Anklage das erste Mal in der Bundesrepublik, dass ein Politiker von Rechten getötet wurde. Ernst ist außerdem wegen versuchten Mordes an einem irakischen Flüchtling im Januar 2016 angeklagt.

Alle Texte zum Thema: dasnd.de/luebcke

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -