Frankfurt dies, Frankfurt das
In der hessischen Metropole marschiert regelmäßig die Polizei auf, ohne dass erkennbare Gründe vorliegen
Der 25. Juli 2020 dürfte in die Stadtgeschichte von Frankfurt am Main eingehen. Mit einem großen Polizeiaufgebot wurde nicht nur der Opernplatz geräumt und daraufhin die ganze Nacht über ein »Betretungsverbot« durchgesetzt, auch der bis dahin recht beliebte SPD-Oberbürgermeister Peter Feldmann gab sich angesichts einiger Demonstranten der Lächerlichkeit preis, und bereits zuvor war die Polizei an dem selbstverwalteten linken Zentrum »Klapperfeld« angerückt - wegen einer Messerstecherei, die nie stattgefunden hat.
Aber von vorne. Nachdem eine Woche zuvor einige Flaschen auf Polizisten geflogen waren, offenbar, so übereinstimmende Augenzeugenberichte, hauptsächlich von alkoholisierten Jugendlichen, hatte man sich in der Stadtverwaltung mit der Polizei darauf geeinigt, den Opernplatz, der während der Corona-bedingten Clubschließungen neben anderen öffentlichen Plätzen zur alternativen Feiermeile geworden war, künftig ab 12 Uhr nachts an Freitagen und Samstagen zu sperren.
Als einen Freitag später die Hundertschaften anrückten, war außer ein paar Schaulustigen, einem großen Presseaufgebot, stolzen Stadtpolitikern und einigen Demonstranten niemand gekommen, und so blamierte sich die martialisch aufmarschierte Polizei-Armee ziemlich, als man die nicht existente Party mit dauernden Durchsagen und der Verlesung von Verfügungen zerschlagen wollte. Alle verließen bald brav den Platz. Das nicht enden wollende Polizeigequake aus den Lautsprechern genügte, um alles Lebendige umgehend zu vertreiben.
Statt die ganze Sache so schnell wie möglich wieder abzublasen, wiederholten Stadtpolitik und Polizeikorps den Unsinn einen Tag später, wieder waren die maßgeblichen Stadtpolitiker samt OB Feldmann auf dem Opernplatz aufgelaufen, wieder beendete die Polizei eine imaginäre Party, doch diesmal ließ es sich der Bürgermeister nicht nehmen, medienwirksam auf einige der Demonstranten zuzugehen.
Diese waren aus verschiedenen Gründen allerdings ziemlich verärgert, unter anderem deshalb, weil einige Stunden zuvor, wie erwähnt, das selbstverwaltete Zentrum »Klapperfeld« ins Visier der Polizei geraten war. »Neben BFE-Einheiten und Streifenpolizist*innen, die die gesamte Klapperfeldstraße abriegelten, war auch eine Hundestaffel und ein Überfallkommando im Einsatz«, hieß es später in einer Mitteilung des Klapperfelds. Zuvor war der Polizei eigenen Angaben zufolge eine »Messerstecherei« gemeldet worden. Auf Nachfrage, ob es denn in einem solchen Fall üblich sei, mit einem derartigen Aufgebot und ohne den Sachverhalt zuvor überprüft zu haben, am Tatort zu erscheinen, antwortete der Polizei-Pressesprecher Marc Draschl zwei Tage später, »aufgrund des Einsatzes am Opernplatz und der damit verbundenen erhöhten Polizeipräsenz im Bereich der Frankfurter Innenstadt« hätten »kurzfristig mehr Polizeikräfte unterschiedlicher Einheiten vor Ort sein« können - eine etwas sonderbare Erklärung, aber immerhin bestätigt sie den Eindruck, dass sich die massiven Polizeikräfte am Opernplatz offenbar langweilten.
Nun ist das Klapperfeld ein 1886 fertiggestelltes Polizeigefängnis, das bis 1945 auch als Gestapo-Gefängnis genutzt wurde und seit Februar 2009 als selbstorganisiertes und -verwaltetes politisches und kulturelles Zentrum von der Initiative »Faites votre jeu!« genutzt wird, die sich unter anderem intensiv mit der Geschichte der Repression auseinandersetzt, die mit diesem Gebäude verbunden ist. Seit seinem Bestehen als autonomes Zentrum haben Polizei und bürgerliches Establishment ihr ehemaliges Zuhause auf dem Kieker. Berühmt geworden ist etwa der Fall des damaligen hessischen Wissenschaftsministers und heutigen Landtagspräsidenten Boris Rhein (CDU), der im Oktober 2017 in Begleitung einiger Saufkumpane nächtens Einlass in das seinerzeit geschlossene Klapperfeld forderte - ohne Erfolg.
Nach der einstündigen Polizeibelagerung, die schließlich endete, nachdem dem Einsatzleiter versichert wurde, dass es keine »Messerstecherei« gegeben habe, schlossen sich die zuvor Belagerten »einer Spontandemonstration gegen Polzeigewalt und Racial Profiling an«, wie »Faites votre jeu!« später mitteilte. Und so kam es zum Zusammentreffen mit dem Oberbürgermeister. Denn der Demonstrationszug traf bald auf dem Opernplatz ein, wo Feldmann noch Interviews gab. Eine Aktivistin beschreibt die bizarre Szene auf dem Blog »Coffee & Identity« wie folgt: »Plötzlich ist Feldmann da. Die Initiatorin redet mit ihm. Er will das Mikrofon. Sie geben es ihm. Frankfurt ist so bunt. Frankfurt dies. Frankfurt das. (...) ›Probieren wir es zusammen‹, sagt Feldmann, ›Black Live Matters‹ (…) Viele sind geschockt. Er sagt es nochmal. Totenstille auf dem Platz. Schock. Er sagt es vier Mal. Irgendwo kommen Buh-Rufe und Pfiffe her. Alle pfeifen. Auch Passant*innen.«
Es ist abzusehen, dass die von der Polizei zwei Nächte lang mantraartig per Lautsprecher verlesene Allgemeinverfügung, wonach der Opernplatz freitags und samstags von 0 bis 5 Uhr morgens nicht betreten werden darf, nicht wie geplant bis September durchzuhalten sein wird. Dessen ist man sich offenbar auch bei der Stadt Frankfurt bewusst. Bereits am Freitag hatten sich Vertreter der Stadt mit Clubbetreibern darauf geeinigt, ab Mitte August auf verschiedenen Plätzen in Frankfurt Partyzonen einrichten zu wollen, und auch wenn die dafür gefundene Bezeichnung »Kultursommergarten« einen tiefen Einblick gibt, was die Damen und Herren Lokalpolitiker von SPD und CDU sich offenbar unter einer Party vorstellen, dürfte das eine weise Entscheidung sein.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.