Wirecard-Aufklärung kommt nicht voran
Nach der Befragung von Finanz- und Wirtschaftsminister rückt ein Untersuchungsausschuss näher
Der Fall Wirecard sorgt für rege Aktivitäten in vielen Bereichen. Die Ufa produziert gerade eine 90-minütige True-Crime-Doku, die im ersten Quartal 2021 auf der Streaming-Plattform TV Now zu sehen sein wird. Als Ergänzung soll es ein mehrteiliges Audio-Drama geben. Ob man da mehr erfährt als bei der Sondersitzung des Bundestags-Finanzausschusses am Mittwochabend?
Dabei ging die Befragung von Finanzminister Olaf Scholz (SPD), zuständig für die Finanzaufsicht Bafin, und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), zuständig für die Kontrolle der Bilanzprüferbranche, mit vier Stunden deutlich länger als geplant. Beide erklärten, wie aus der nicht-öffentlichen Sitzung verlautete, Altbekanntes: nämlich dass Bafin (Scholz) und dass die Abschlussprüferaufsichtsstelle sehr früh und zu jedem Zeitpunkt die notwendigen und die richtigen Schritte ergriffen habe (Altmaier).
Die Opposition ist weiter unzufrieden: »Die wirklich spannenden Fragen bleiben unbeantwortet«, so der Linke-Finanzexperte Fabio De Masi, der sich am längsten und intensivsten mit den Vorgängen um die Finanzfirma beschäftigt hat. Was er wissen will: Warum wurde die Finanzfirma als Technologiekonzern eingestuft mit der Folge, dass die Finanzaufsicht keine richtigen Kompetenzen hatte? Warum wurde trotz vieler Sonderprüfungen nicht erkannt, dass die Wirecard-Bank mithilfe unbesicherter Kreditvergabe aus dem Konzern heraus gesteuert wurde? Wie ging die für Geldwäschebekämpfung zuständige Zentralstelle beim Zoll mit diesbezüglichen Verdachtsmeldungen um? Für De Masi ist der Fall Wirecard mehr als der Bilanzfälschungsskandal, der die Staatsanwaltschaft gerade beschäftigt und fast die gesamte Führung des Dax-Konzerns hinter Gittern gebracht hat.
Beide Minister wollen andere Fragen noch beantworten, vermutlich im August bei einer weiteren Sondersitzung des Finanzausschusses. Die Opposition will dann auch Vertreter des Kanzleramts befragen. Für De Masi ist der Komplex aber zu umfangreich für dieses Gremium - einen Untersuchungsausschuss hält er für unausweichlich. Auch weil dies den Vorteil der Akteneinsicht hätte, die bisher verwehrt wurde.
Während die rechtspopulistische AfD nicht einmal die Ministerbefragung abwartete, um sich hierauf festzulegen, wollen sich Grüne und FDP mit der Linken über diese Frage beraten. Ein Viertel aller Abgeordneten muss hier zustimmen - derzeit gilt das als sehr wahrscheinlich. Selbst Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble würde dies begrüßen. Die Haltung des CDU-Politikers wie auch von AfD und FDP - beide Befürworter von Deregulierung - macht deutlich, dass es hier auch stark um Wahlkampftaktik geht. Während Altmaiers politische Karriere dem Ende entgegengeht, will Scholz 2021 SPD-Kanzlerkandidat werden. Ein U-Ausschuss wäre heikel für ihn und seine Partei. Und so präsentiert sich der Finanzminister jetzt als Oberaufklärer im Fall Wirecard und Vorantreiber von Reformen in der Finanzaufsicht. Gleichzeitig gibt er die Schuld vor allem den Wirtschaftsprüfern, die in Altmaiers Zuständigkeitsbereich fallen.
Doch warum legte Scholz diesen Elan nicht schon viel früher an den Tag? Im Februar 2019 wurde der Minister darüber unterrichtet, dass die Finanzaufsicht Bafin den Fall untersuche. Dennoch gab es zahlreiche Kontakte von Wirecard-Vertretern oder -Beratern mit dem Finanzministerium oder auf Arbeitsebene mit dem Kanzleramt, wie aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion hervorgeht. Dokumente wurden dazu aber nicht vorgelegt. Auch über den Inhalt wurde kaum etwas mitgeteilt - teils aus Gründen der diplomatischen Vertraulichkeit, teils mit dem Hinweis, dass der Inhalt solcher Gespräche nicht protokolliert werde. Noch etwas ärgert Linke-Fraktionsvize Fabio De Masi: »Ich finde es nicht zufriedenstellend, dass das Finanzministerium noch Mitte 2019 für Wirecard in China geworben hat.«
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!