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Ein Regenbogen der Resignation

Leo Fischer über den Protest der »Corona-Skeptiker« an diesem Wochenende

Die Philosophinnen und Philosophen der Aufklärung entzweiten sich über eine grundsätzliche Frage: ob der Mensch im Natur- und Ruhezustand, also abzüglich menschlicher Einrichtungen wie Erziehung, Kultur und Industrie, ein guter ist, aus eigenem Antrieb zum Wohl der Allgemeinheit handelt und erst von der Gesellschaft zur Eigensucht erzogen wird; oder ob die Leute vielmehr böse geboren werden, von klein auf nur an sich selbst denken und erst von der eisernen Knute der Vernunft, durch Erziehung, Überwachung und Bestrafung zum Guten gezwungen werden.

Dafür ist die Coronakrise ein guter Test. Sehr viele Leute lehnten beispielsweise gleich zu Beginn der Pandemie Mund-Nase-Bedeckungen ab: So könne man sich selbst ja gar nicht schützen, sondern nur andere. Der einfachste solidarische Schritt - wenn alle die Anderen schützen, sind alle geschützt - war eine zu starke Abstraktion.

An diesem Wochenende findet in Berlin eine Demonstration statt, zu der Zehntausende jenes Menschenschlags erwartet werden, der sich das Denken an Andere schon im Grundsatz verboten hat. Bröckelnde rechtsradikale Banden, die Reste von Pegida, Hildmann-Fans, Aluhüte und Antisemiten treffen sich zu einem Superspreader-Event der Spitzenklasse: »Corona-Skepsis« wird zeitgleich mit der Krankheit verbreitet werden. »Corona-Skepsis« ist ein wunderbares Vehikel für fast jede Ideologie. Da ist der Marktradikale, der wieder wie früher wirtschaften möchte. Da sind diejenigen, die finstere Eliten am Werk sehen, die in Geheimlaboren Giftkeime ausköcheln. Da sind jene, die die Krankheit unerwünschten Ausländern zuschreiben.

Es ist das Tückische an der Krankheit, dass die Betroffenen verschwinden; sie sind nicht Teil der Debatte. Wenn sie nicht sterben, sind sie in Quarantäne. Sie hätten, fragte man sie, viel zu sagen: dass sämtliche Hygienekonzepte nicht ausreichen; dass überarbeitete Pflegerinnen und Ärztinnen mit Balkonapplaus abgespeist wurden; dass inmitten der Wiedereröffnungsfeierlichkeiten der deutschen Trias Schweinemast, Mallorca und Bahnkomfort der pure Zufall guter Aprilzahlen von der heranrollenden Welle der Neuinfektionen schon wieder aufgezehrt ist. Und sie würden auf eine einfache Wahrheit hinweisen: Das Wirtschaftssystem müsste komplett umgebaut werden, um alle zu schützen. Dieser Gedanke ist jedoch so verboten, dass man lieber die nächste Welle in Kauf nimmt.

Wenn auch schon Linken die elementare Fantasie fehlt, sich vorzustellen, wie eine Welt aussehen müsste, in der die Verbreitung tödlicher Pandemien in menschlichem, nicht in wirtschaftlichem Maßstab verhindert würde, wenn auch in linken Kreisen lediglich die Hoffnung auf »den Impfstoff« als Restutopie bleibt - was wollen sie dann aber den »Corona-Skeptikern« entgegensetzen?

Die sprechen nur aus, was alle denken: Alles übertrieben, sterben müssen wir alle, lasst uns wenigstens Ballermann machen, wenn schon die Welt zum Teufel geht. Die Beiden, die mit mir gerade im Zug sitzen, offenbar auf dem Weg zu jener Demo, haben die mörderisch gute Laune schon zum Programm erhoben: »Wie hier alle finster hocken, wie im Krankenhaus«, kreischen sie in forcierter Fröhlichkeit - hinein in ein Abteil, in dem nicht ein einziger Passagier nach den Mindeststandards des Robert-Koch-Instituts platziert ist.

»Ein bisschen Schwund ist immer« - Links und Rechts sind nur darin unterschieden, wie viel Schwund sie hinzunehmen bereit sind. Die »Corona-Skepsis« ist eigentlich ein Regenbogen der Resignation, auf dem wir alle irgendwo untergebracht sind. Die Beiden, die sich auf ihre Verschwörungsdemo freuen, haben das eher erkannt als andere, erstreben eine Rückkehr zur Normalität - von der alle wissen, dass sie schon vorher eine tödliche war.

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