Millionen verlorene Stellen in Spanien

Besonders Menschen mit prekären Jobs etwa im Tourismus sind betroffen

  • Ralf Streck, San Sebastian
  • Lesedauer: 4 Min.

»Kampf um jeden Arbeitsplatz, Nein zur Schließung von Siemens Gamesa« hallte es sogar auf Deutsch durch die Straßen von Pamplona. Beschäftigte der Rotorenblattfabrik des Windturbinenherstellers demonstrierten bereits mehrfach in der nordspanischen Stadt und hatten sich am Donnerstag in der Kirche San Lorenzo zu einem 24 Stunden langen Hungerstreik eingeschlossen. Sie wollen die Schließung der Filiale im nahen Aoiz verhindern und machten Druck auf die Regionalregierung von Navarra, die »Arbeitsplatzregulierung« (ERE) abzulehnen. ERE ist eine euphemistische Umschreibung für die Entlassung aller 239 Beschäftigten.

Für den Betriebsratschef Alfonso Poyo steht die Zukunftsfähigkeit des Werks außer Frage. So habe es genug Aufträge und benötige allenfalls geringe Investitionen. Der Vertreter der baskischen Gewerkschaft ELA verweist auch auf Steuergelder, die in das Unternehmen geflossen sind. »Sie wollen die Produktion in ein anderes Land verlegen, weil es dort billiger ist«, erklärt er. Poyo hat auch im Blick, dass im Rahmen des EU-Wiederaufbauprogramms und im Rahmen des Green Deal eigentlich erneuerbare Energien gefördert werden sollen. Doch die »skrupellose« Firma sei nur an höheren Gewinnen interessiert.

Viele Beschäftigte in der Region, auch von Zulieferern, fürchten, sich bald in die wachsende Armee der Arbeitslosen einreihen zu müssen. Die ist in der Coronakrise nun riesig. Nach Angaben des spanischen Statistikamts (INE) gingen im 2. Quartal dieses Jahres fast 1,1 Millionen Stellen verloren, vor allem prekäre Jobs in der Tourismusindustrie. Im Dienstleistungssektor waren es von April bis Juni mehr als 800 000. Zwei Drittel der verlorenen Stellen waren befristet. Mehr als 90 Prozent aller Verträge im Dienstleistungssektor werden in Spanien befristet geschlossen. Sie fielen damit nicht unter den Corona-Kündigungsschutz der spanischen Regierung, der bis Ende Juni galt. Eigentlich sollte es nach zwei Arbeitsmarktreformen befristete Verträge kaum noch geben, bei denen der Kündigungsschutz praktisch beseitigt und die Abfindungen erheblich gekürzt sind. Doch sie feiern ein Comeback, die Linksregierung hat ihr Versprechen, die besonders schädliche Reform der rechten Vorgänger zurückzunehmen, bislang nicht eingelöst.

Nach INE-Angaben sind in Spanien, das von der hohen Arbeitslosigkeit (14 Prozent) der letzten Krise nie heruntergekommen ist, nun 15,3 Prozent der Erwerbstätigen ohne Job. Das ist jedoch eine »Mondzahl«, die den Verlust von 1,1 Millionen Stellen nicht darstellt. Die Zentralbank geht vielmehr von etwa 20 Prozent aus. Viele Arbeitslose haben es angesichts lange geschlossener Behörden nicht geschafft, sich im Juni arbeitslos zu melden. Und wer keinen Anspruch auf Leistungen hat, meldet sich sowieso nicht arbeitslos.

Das ganze Ausmaß ist noch nicht absehbar. Sogar das Statistikamt muss einräumen, dass 4,7 Millionen Menschen im letzten Quartal nicht gearbeitet haben. Fast 3,5 Millionen Menschen sind noch in sogenannten »ERTE« geparkt, wie Kurzarbeit Null genannt wird. Von denen werden viele nie wieder in ihren Job zurückkehren können. Deshalb wird befürchtet, dass die 26 Prozent Arbeitslosen aus dem Jahr 2013 in Zeiten von Corona noch überschritten werden. War der wirtschaftliche Einbruch in Deutschland im zweiten Quartal mit 10,1 Prozent enorm, betrug er in Spanien sogar 18,5 Prozent.

In einem Land, das stark auf Tourismus setzt, ist Besserung nicht in Sicht. So hat die Tourismusbranche ihre schon bisher pessimistischen Prognosen für dieses Jahr noch einmal drastisch nach unten revidiert. Bis zum Jahresende drohten der Verlust von bis zu 750 000 Arbeitsplätzen und ein Rückgang der in normalen Zeiten zu erwartenden Einnahmen um mehr 50 Prozent oder 83 Milliarden Euro, berichtete die Zeitung »El País« am Sonntag unter Berufung auf Schätzungen des Reiseunternehmerverbandes Exceltur. »Dies ist der katastrophalste Sommer der vergangenen 50 Jahre«, zitierte die Zeitung Exceltur-Vizepräsident José Luis Zoreda. Am schlimmsten sei die Entscheidung Großbritanniens, für Rückkehrer aus Spanien eine 14-tägige Quarantäne anzuordnen. Gut ein Fünftel der fast 84 Millionen ausländischen Urlaubsgäste in Spanien kam 2019 aus Großbritannien. Danach folgten Deutsche und Franzosen mit einem Anteil von jeweils gut 13 Prozent. Deutschland hat eine Reisewarnung für Katalonien mit der Tourismusmetropole Barcelona sowie für Aragón und Navarra ausgesprochen. Auch Frankreich rät seinen Bürgern von Reisen nach Katalonien ab. Ohne das Tourismusgeschäft wird sich die spanische Wirtschaft im dritten Quartal kaum erholen. Auch deshalb ist es dramatisch, wenn Spanien Firmen wie den Windanlagenbauer Siemens Gamesa verliert.

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