Die Grüne Große Mauer
In China läuft schon seit Jahrzehnten das weltweit größte Wiederaufforstungsprogramm. Das ist gut fürs Klima und die Wirtschaft
Die Große Chinesische Mauer sei das einzige menschliche Bauwerk, das man vom Mond aus sehen kann, hieß es früher. Schaut man heute aus dem All auf das Reich der Mitte, fällt zuerst etwas anderes auf: dass es dort viel mehr Bäume gibt als früher. Denn in der Volksrepublik läuft - vom Ausland fast unbemerkt - seit bereits über 40 Jahren das größte Aufforstungsprogramm der Weltgeschichte. Das größte von Menschen gepflanzte Waldgebiet bedeckt eine halbe Million Quadratkilometer, was in etwa der Fläche Spaniens entspricht.
»Die Welt ist in den vergangenen 20 Jahren grüner geworden«, resümiert Chi Chen die überraschenden Ergebnisse einer aktuellen Untersuchung der Universität Boston. Er und sein Team sind bei der Auswertung von Daten von Nasa-Satelliten zu dem Schluss gekommen, dass China den Löwenanteil dieser Veränderung stemmt. Bis heute werden dort mehr Bäume gepflanzt als im Rest der Welt zusammengenommen.
Besondere Bedeutung hat das »Dreifache Nördliche Schutzgürtel-Programm«, so die amtlich Bezeichnung, für den Norden und Nordwesten Chinas. Dort liegen ausgedehnte Wüsten, die etwa 27 Prozent der chinesischen Landfläche ausmachen und rasch wachsen. Erosion und intensive Landwirtschaft verursachen Probleme genauso wie Umweltverschmutzung und Dürren. Um die Desertifikation zu verhindern, wurden etwa im Jahr 2009 etwa 59 000 Quadratkilometer aufgeforstet. Zwar ging ein Viertel der Setzlinge später ein. Trotzdem machen Forstflächen innerhalb des Gebiets der Grünen Großen Mauer, wie die Region genannt wird, heute 13,57 Prozent aus. Hier stehen mehr als zweieinhalb Mal so viele Bäume wie zu Beginn des Programms im Jahr 1978.
Die Methoden der Wiederaufforstung wurden im Laufe der Zeit modernisiert. Mittlerweile greift man auf einen mehrstufigen Ansatz zurück: Erst werden Gras, Büsche und Pionierbäume wie Espen gesetzt. Und immer häufiger übernehmen Profis die Aufforstung, obwohl dies deutlich teurer ist als die freiwillige Arbeit von Bürgerinnen und Bürgern. Bevorzugt werden Baumsorten, die schnell wachsen und langlebig sind. Wo es genug regnet, wird sogar per Flugzeug ausgesät.
Auch geografisch wird die Wüstenbekämpfung aufgefächert. Zuerst kommt ein schachbrettartig angelegter Gürtel mit Steppenvegetation, um die Dünenbildung abzubremsen. Dahinter wird Schotter ausgebracht. Erst dann kommen Bäume, die nicht nur die Wüste aufhalten, sondern auch als Windschutz gegen Sandstürme dienen.
Allein für den Zeitraum 2013 bis 2020 werden Pekings Ausgaben für Aufforstungskampagnen auf insgesamt 34,5 Milliarden US-Dollar beziffert. Hinzu kommen Aufwendungen der Provinzregierungen und der lokalen Behörden. Auch Privatleute und Unternehmen beteiligen sich.
Kritik gibt es indes daran, dass die biologische Vielfalt der eilig gepflanzten neuen Forste zu wünschen übrig lässt. Baumarten, die nicht in China heimisch sind, bieten Wildtieren und Vögeln nur wenig Platz. Sie können die bestehenden Nahrungsketten verändern oder unterminieren. Und Monokulturen sind anfällig für Schädlingsbefall.
Dennoch ist der Nutzen der Aufforstung unmittelbar zu erkennen: Die Zahl und Schwere der Sandstürme hat zum Beispiel in der Hauptstadt Peking deutlich abgenommen, und die Wüstenbildung verlangsamt sich. Zudem binden die Bäume CO2 und helfen so, die Erderwärmung zu verlangsamen. In einigen Gebieten sind zudem die jährlichen Niederschläge von 70 Millimeter pro Jahr (Wüstenklima) auf 400 Millimeter gestiegen. Zeitweilig reicht diese Regenmenge, um Baumwolle und Hirse anzubauen oder zumindest Weidewirtschaft zu betreiben.
Auch ökonomisch macht die Große Grüne Mauer Sinn: Es werden immer mehr neue Früchte und Nüsse produziert, darunter Äpfel, Walnüsse, Jujube (chinesische Datteln) und Esskastanien, die auch von den heimischen Verbrauchern angenommen werden. Hinzu kommen wachsende Einnahmen aus dem Tourismus. Mittlerweile belaufen sich die Einkommen der Anwohner im Gebiet der Grünen Großen Mauer aus landwirtschaftlichen Aktivitäten auf umgerechnet mehr als 15 Milliarden Euro jährlich. Kein Wunder, dass das Programm nach bisheriger Planung mindestens bis 2050 fortgesetzt werden soll.
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