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»Zweite Welle«: Ein problematischer Begriff
Steigende Corona-Fallzahlen zu problematisieren ist richtig, aber bitte nicht überdramatisch
Ist das jetzt die zweite Welle? Vielleicht? Bestimmt? Kommt sie? Ist sie schon da? Seit Tagen sprechen Politiker und Medien von der »zweiten Welle«. Die Warnungen sind wortreich. Eine Sache stimmt: Seit einigen Tagen gehen die Neufallzahlen nach oben. Hatten sie sich seit Ende Mai bei einer Zahl von etwa 500 pro Tag eingependelt, sind es nun zum Teil um die 1000, der Sieben-Tage-Mittelwert liegt inzwischen bei rund 750 Neuinfizierten. Am Mittwoch waren es laut den den Zahlen des Robert-Koch-Instituts über 1000. Auch die Zahl der gerade aktiven Corona-Fälle pendelte im Juni und Anfang Juli um die Marke von rund 7000, in den letzten Tagen ist sie wieder gestiegen und hat gestern die 10.000er Marke durchbrochen.
Eine Pandemie ist »ein Marathon«, haben kluge Köpfer immer wieder gesagt. Soll heißen: Wir müssen ausdauernd und vorsichtig sein, in einer »neuen Normalität« anders und »mit dem Virus leben«. Nach der erfolgreichen Eindämmung wurde wieder gelockert, bisher scheinbar erfolgreich.
Nun gibt es steigende Infektionszahlen als Begleiterscheinung. Menschen werden ungeduldig, wollen raus und feiern, treffen sich wieder, Reisende, die sich etwa in Mallorca daneben benehmen, trugen ebenfalls dazu bei. All das ist verständlich, Menschen werden nachlässig nach einer Weile. Das ist nur menschlich.
Aus Verantwortlichen- und Politikersicht scheint es andererseits verständlich, durch lautes Warnen der »zweiten Welle« entgegenwirken zu wollen. Die Warnung muss schließlich noch den letzten Jugendlichen erreichen, der gerade darüber nachdenkt, am Wochenende auf eine Corona-Party zu gehen.
Doch vielleicht kann man Besorgnis über steigende Fallzahlen auch anders kommunizieren, weniger alarmistisch. Vielleicht ist es sogar besser. Denn bei »zweiter Welle« denkt man unwillkürlich an ähnlich hohe Werte wie bei der ersten. Bei der hatten wir zum Teil tägliche Neufallzahlen von 6000 und mehr und in der Spitze 72.000 aktive Infektionen. Damals stieg die Kurve schnell und exponentiell an. Das ist aktuell – vielleicht »noch« - nicht der Fall. Wir haben also eine geringere »base-line« und zumindest aktuell einen geringeren Anstieg.
In Zeiten, in denen Corona-Leugner mit Verschwörungstheorien immerhin rund 20.000 Menschen auf die Straße gebracht haben und in den Medien Vertrauen seit Jahren ein Thema ist - auch wenn die Medien-Skepsis längst nicht so groß ist, wie es oft geraunt wird - sollten Journalisten alarmistische Begriffe einordnen, wenn sie von Politikern kommen - und sie nicht selber verwenden.
Sehen Sie hier Grafiken zu den Coronavirus-Daten: Die aktuellen Zahlen
Also: Ja, eine »zweite Welle« ist möglich, nein noch sind wir nicht da. Die Schutzmaßnahmen und Abstandsregeln beachten müssen wir weiterhin und daran zu erinnern ist wichtig und richtig, aber bitte nicht überdramatisch. Damit wir noch Reserve bei den Begriffen haben, sollte sich die Situation verschärfen.
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