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Lukaschenko in der Sackgasse
Belarussischer Präsident verkündet Wahlsieg - Opposition um Swetlana Tichanowskij protestiert landesweit
Alexander Lukaschenko hat die Präsidentschaftswahl in Belarus haushoch gewonnen - zumindest, wenn man den offiziellen Angaben glauben mag. Das amtlich verkündete Ergebnis dürfte sogar für Lukaschenko-Anhänger fragwürdig klingen. Es stellt die demokratische Legitimierung des ewigen Staatschefs in Frage.
Dass der seit 1994 regierende Präsident Alexander Lukaschenko noch am Sonntagabend zum Sieger der Wahlen in Belarus erklärt wird, war eigentlich gesetzt. Die stärksten Oppositionskandidaten wurden schließlich zuvor nicht dafür aus dem Rennen genommen, dass Lukaschenko am Ende verliert. Dass der 65-Jährige dem vorläufigen Ergebnis zufolge unrealistische 80 Prozent holte und seine Gegnerin Swetlana Tichanowskaja, die Zehntausende in unterschiedlichsten Städten des Landes zu Demonstrationen mobilisierte, nicht mal an die zehn Prozent-Marke kam, ist zwar an sich nicht überraschend - für viele in Belarus aber trotzdem ein Schock. Denn diese Wahl war tatsächlich anders als vorherige Abstimmungen: Zum ersten Mal hatten jene Belarussen, die sowohl den autoritären Lukaschenko als auch die oft nationalistische Opposition kritisch sehen, eine ernsthafte Alternative. Mit dem Bankier Wiktor Babariko, dem Ex-Diplomaten Walerij Zepkalo und dem Blogger Sergej Tichanowskij hatten drei für breite Bevölkerungsschichten akzeptable Kandidaten ihre Teilnahme angekündigt. Sie wurden jedoch alle entweder verhaftet oder zur Wahl nicht zugelassen. Letztlich wurde Tichanowskijs Frau Swetlana, eine politisch bisher nicht aufgefallene Englischlehrerin, als Kandidatin registriert. Babarikos und Zepkalos Wahlstäbe haben sich mit ihr vereint, um nach dem vermeintlichen Sieg demokratische Neuwahlen vorzubereiten.
Dass Tichanowskaja selbst 70 Prozent bekam, was die Opposition aufgrund ihrer Daten betont, ist aber ebenfalls sehr unwahrscheinlich. Sehr wohl kann Lukaschenko in einem Land, in dem unabhängige Medien quasi nicht existent sind, immer noch die Mehrheit haben. Das Problem ist: Man weiß dazu nichts. Umfragen zum Abstimmungsverhalten sind in Belarus so gut wie verboten, die Wahlen wurden dazu von internationalen Organisationen wie der OSZE nicht beobachtet und alleine die Tatsache, dass fast die Hälfte der an der Wahl Teilnehmenden vorzeitig abstimmte, eröffnet den Weg für Manipulationen. Aufgrund der Größenordnung der Demonstrationen in den vergangenen Wochen dürften nicht mal treue Lukaschenko-Anhänger an seine angeblichen 80 Prozent glauben.
Die Umstände der Wahl schwächen Lukaschenkos Ausgangsposition für die nächste Amtszeit. Erst mal muss er jedoch die aktuellen Proteste, die nach den Wahlen im ganzen Land stattfanden, politisch überleben. In Minsk ist es mittels brutaler Polizeigewalt, der Schließung des öffentlichen Nahverkehrs sowie der Abschaltung des Internets gelungen, die Demonstranten zu zerstreuen und die Situation vorerst unter Kontrolle zu bringen. In den ländlicheren Regionen hatten die Protestierenden jedoch die Überhand, auch weil Sicherheitskräfte extra nach Minsk mobilisiert wurden. Die Proteste werden weitergehen und wirklich stabil wirkt die Situation für Lukaschenko nicht, obwohl Tichanowskajas Wahlstab kaum noch in der Lage sein dürfte, die Demonstrationen zu koordinieren. »Wir akzeptieren die Ergebnisse nicht«, hieß es bei der Oppositionskandidatin dazu, einen klaren Aufruf für weitere Proteste gab es jedoch nicht.
Doch abseits der Proteste könnte auch die geringe Legitimation des Präsidenten die bereits im Land bestehenden Probleme verschärfen. Das Regime lebte vor allem von der scheinbaren Wirtschaftsstabilität, die wiederum in erster Linie durch günstige Energielieferungen aus Russland gewährleistet wurde. Doch als Belarus jüngst eine vertiefte Integration im Rahmen eines gemeinsamen Unionsstaates ablehnte, kam es zu einem großen Ölstreit, der die belarussische Wirtschaft massiv gefährdete. Hier steckt Lukaschenko in einer Sackgasse, denn Großinvestitionen aus dem Westen sind für ihn keine realistische Alternative. Und so muss er entweder Zugeständnisse an Russland machen, die auch die Unabhängigkeit von Belarus gefährden, oder das Land könnte in einer Wirtschaftskrise landen. Beides wäre auch für Lukaschenkos Stammwählerschaft schlecht.
Hinzu kommt, dass Lukaschenkos Führungsstil aufgrund des fragwürdigen Umganges mit der Corona-Pandemie, die auf Wunsch des Präsidenten quasi ignoriert wurde, immer öfter in Frage gestellt wird - vor allem in Städten wie Witebsk, wo ein größerer Ausbruch stattfand.
Für Lukaschenko wird es nach 26 Jahren also langsam Zeit, eine Machtübergabe zu planen, sonst könnte ihn eine Empörungswelle früher oder später aus dem Amt jagen. Diese Gefahr sollte der ewige Präsident von Belarus ernstnehmen.
Das strategische Problem für Belarus bleibt in dem Konflikt, dass das Land von Russland viel abhängiger ist als beispielsweise die Ukraine. Mit seiner Erfahrung konnte Lukaschenko immer wieder klug balancieren, ohne die belarussische Unabhängigkeit dabei an Russland abzugeben. Für die Opposition wäre das ebenfalls eine schwere Aufgabe. Und zwar nicht nur für die aktuelle Organisierung rund um Swetlana Tichanowskaja. Die vermittelt zwar einen sehr sympathischen Eindruck vermittelt, konnte jedoch nie einen ernstzunehmenden Plan vorweisen, was nach der Präsidentschaftswahl eigentlich geschehen soll.
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