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Neonazis beim Namen nennen
Antifaschisten wegen Outing der Hauptverdächtigen im Neukölln-Komplex freigesprochen
Darf man Neonazis als das bezeichnen, was sie sind? Die Staatsanwaltschaft findet Nein und verklagte drei Antifaschisten, die im Februar 2017 im Neuköllner Ortsteil Rudow Plakate mit Konterfeis der Hauptverdächtigen der rechten Anschlagserie in Neukölln, Sebastian T. und Thilo P., verklebt hatten, wegen übler Nachrede und Verstoß gegen das Kunsturhebergesetz. Die Din A3 großen Poster mit der Aufschrift »Know your enemy. Achtung Neonazis«, auf denen T. und P. abgebildet waren und für die Anschläge in Neukölln verantwortlich gemacht wurden, seien geeignet, diese »verächtlich zu machen«, sagte die Staatsanwältin am Mittwochmorgen vor dem Berliner Kriminalgericht in Moabit, wo der Prozess gegen zwei der drei Antifaschisten verhandelt wurde.
Er war nicht im Dienst: Ein Polizeibeamter hatte nach einem Fußballspiel am 5. April 2017 einen Mann am S-Bahnhof Karlshorst angegriffen. Stefan K. und bis zu neun Mittäter sollen laut Polizei das Opfer rassistisch beschimpft, die Nase und gebrochen und Kopf- und Schulterverletzungen zugefügt haben. Der Mann afghanischer Herkunft ist laut seiner Rechtsanwältin seitdem schwer traumatisiert. Die Staatsschutzabteilung der Staatsanwaltschaft erhob Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung, aber nicht wegen des Motivs, was strafverschärfend sein kann. Am Amtsgericht Tiergarten wurde im Januar die Hauptverhandlung gegen K. eröffnet, der nach wie vor im Dienst war.
Antifaschistische Recherchegruppen haben rekonstruiert, dass K. offenbar als »szenekundiger Beamter« dem Dezernat 64 »Aufklärung/Operative Dienste« beim Landeskriminalamt angehört, dessen Zivilkommandos auch PMS genannt werden – in diesem Fall »PMS Rechts«. K. war regelmäßig zivilgekleidet bei den extrem rechten Demonstrationen von »Bärgida« am Berliner Hauptbahnhof eingesetzt. Er gehörte ebenfalls bis 2016 zur ersten Neuköllner Ermittlungsgruppe »Rex« (Rechtsextremismus). Aufnahmen zeigen ihn zum Beispiel 2008 in Zivil bei einer NPD-Kundgebung im Neuköllner Stadtteil Rudow. In seine Dienstzeit fallen schwere rechte Angriffe sowie die Morde an Burak Bektas und Luke Holland. clk
Besonders interessant ist dabei, dass Sebastian T. selbst angibt, sich durch die Plakate überhaupt nicht in seiner Ehre verletzt zu sehen, wie der Beklagtenanwalt Lukas Theune anmerkt. »Die Staatsanwaltschaft setzt sich hier für die Ehre eines schwerkriminellen und hochgefährlichen Neonazis ein«, kritisiert auch sein Kollege Ulrich von Klinggräff. Nicht das einzig Bemerkenswerte an dem Fall: So hatten die Polizisten, die die drei jungen Männer beim Plakatieren gesehen haben wollen, selbst gar keine Strafanzeige gestellt, sondern lediglich einen Bericht über den Vorfall verfasst. »Wir haben darin keine Straftat erkannt, die Plakate ließen sich ja leicht wieder entfernen«, sagt einer der Polizisten im Zeugenstand. Ähnlich äußert sich sein Kollege, der offenbar nicht so ganz zu verstehen scheint, warum eine solche Lappalie überhaupt vor Gericht landet.
Das ist wohl dem Eifer der Staatsanwaltschaft zu verdanken, die zwar in der Neuköllner Terrorserie seit Jahren keine Erfolge vorweisen kann, im Fall der drei jungen Antifaschisten dafür umso größeren Eifer an den Tag legt. So ließ sie trotz des Bagatelldelikts ein halbes Jahr nach der Plakataktion die Wohnungen der drei Angeklagten durchsuchen. Und obwohl dort keinerlei Beweise gefunden werden konnten und selbst der Richter mehrfach darauf hinwirkte, das Verfahren einzustellen, bestand sie auf einem Prozess. Das Verfahren führt wohlgemerkt dieselbe Abteilung der Staatsanwaltschaft, die erst vergangene Woche in die Schlagzeilen geraten war, weil Staatsanwalt Matthias F. wegen seiner Nähe zur AfD befangen sein soll, woraufhin die Generalstaatsanwältin sämtliche Ermittlungsverfahren im Neukölln-Komplex an sich zog.
Nach den lückenhaften und widersprüchlichen Aussagen der Polizisten vor Gericht musste am Mittwoch dann selbst die Staatsanwältin einsehen, dass die Angeklagten freizusprechen sind. In der Verhandlung hätten die Vorwürfe weder bestätigt noch habe die Tat den Personen zweifelsfrei zugeordnet werden können, räumte sie ein. Den Verteidigern geht es hingegen weniger um die konkrete Tat, als vielmehr darum, »dass die Staatsanwaltschaft es als Ehrverletzung ansieht, wenn ein stadtbekannter Neonazi auch als solcher bezeichnet wird«, wie von Klinggräff erstaunt anmerkt. »Es ist unbestritten, dass Sebastian T. ein Neonazi ist«, so der Anwalt, das würden nicht nur seine Vorstrafen belegen, sondern auch seine Mitgliedschaften in den rechtsextremen Gruppen »Freie Kräfte Berlin Neukölln« und »Nationaler Widerstand Berlin« sowie seine ehemalige Funktion als Kreisvorsitzender der NPD Neukölln. »Er ist tief verwurzelt in der gewaltbereiten militanten Neonaziszene. Alle Angaben auf dem Plakat entsprechen also der Wahrheit«, so von Klinggräff.
Am Ende einer langen Liste von Tatvorwürfen gegen Sebastian T., die dieser im Zuge der rechten Terrorserie begangen haben soll, mochte sich so mancher Beobachter fragen, wer in diesem Verfahren eigentlich Opfer und wer Täter ist. Der Richter konnte dann auch nicht anders, als die beiden Angeklagten freizusprechen. Er bestätigte, dass der Inhalt des Plakats nachweislich wahr und Sebastian T. ein Neonazi ist. Die Frage, ob er auch für Mordversuche verantwortlich gemacht werden kann, wie auf dem Plakat behauptet und von Theune mit Verweis auf den Brandanschlag auf das Auto des Linke-Politikers Ferat Kocak dargelegt, wollte er sich jedoch nicht näher einlassen. »Das hätte nicht unbedingt ein Verfahren werden müssen«, konnte er sich aber nicht verkneifen.
»Es ist ein Skandal, dass die Staatsanwaltschaft diese Sache überhaupt zur Anklage bringt«, sagt nach dem Prozess auch Lukas Theune. »Es ist wichtig, dass Menschen aus der Zivilgesellschaft vor solchen gefährlichen Personen warnen.« Wenn die Staatsanwaltschaft in der rechten Terrorserie schon nichts unternehme, sei dies umso wichtiger. Seit fast zehn Jahren terrorisieren Neonazis Antifaschist*innen in Neukölln, allein für die Jahre 2016 und 2017 zählt die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus 55 Fälle. Die Polizei rechnet der Serie 72 Fälle zu, darunter 23 Brandstiftungen. Außer einer Hausdurchsuchung beim Hauptverdächtigen Sebastian T., bei dem eine Feindesliste gefunden wurde, ist bislang nichts passiert.
Einer der jungen Männer, die die Plakate mit dem Nazi-Outing verklebt haben sollen, steht ebenfalls auf dieser Liste und wurde von der Polizei eindringlich gewarnt. Er ist erleichtert über den Freispruch, sieht in dem Verfahren jedoch einen Versuch, »antifaschistischen Widerstand zu kriminalisieren«. Der Verfolgungsdruck käme dabei von der Staatsanwaltschaft. Der geschasste Staatsanwalt Mathias F. sei »seit Jahren bekannt als Schießhund gegen links«, der alle Verfahren gegen Antifaschist*innen an sich gezogen und gepusht habe. »Das war definitiv ein politisch motiviertes Verfahren.«
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