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Belarussische Behörden lassen überraschend Gefangene frei

Zahlreiche Festgenommene wieder frei +++ Berichte von Misshandlungen +++ Beratungen über mögliche Sanktionen

  • Lesedauer: 4 Min.

Minsk. Nach Tausenden Festnahmen bei den Protesten gegen Präsident Alexander Lukaschenko in Belarus (Weißrussland) haben die Behörden überraschend mit der Freilassung vieler Gefangener begonnen. Vor dem Gefängnis Okrestina in der Hauptstadt Minsk nahmen Familien und Freunde zutiefst erleichtert ihre Angehörigen in Empfang, es gab große Freude und Tränen, wie in oppositionsnahen Kanälen des Messengerdienstes Telegram in der Nacht zum Freitag zu sehen war. Viele berichteten von schweren Misshandlungen im Gefängnis und zeigten ihre Wunden. Bis zum Morgen, 6.00 Uhr (5.00 Uhr MESZ), solle ein Großteil der bei Protesten in den vergangenen Tagen Festgenommenen wieder in Freiheit kommen, teilten die Behörden mit.

Die Rede war von mehr als 1000 Gefangenen. Es handele sich um Menschen, die am Rande nicht genehmigter Proteste ohne Grund festgenommen worden seien, hieß es. Die Gesamtzahl hatte bei rund 7000 gelegen. Es war das erste Mal seit Tagen, dass der Machtapparat unter Lukaschenko, der als letzter »Diktator Europas« gilt, einlenkte. Tausende hatten auch am Donnerstag seinen Rücktritt gefordert.

Staatsmedien berichteten, dass Lukaschenko am Donnerstagabend selbst angewiesen habe, sich um die Lage der Gefangenen zu kümmern. Er reagiere damit auf die Proteste von Arbeitskollektiven in den Staatsbetrieben der Ex-Sowjetrepublik, hieß es. Die Demonstranten seien unter der Auflage freigelassen worden, dass sie nicht mehr an »nicht genehmigten Demonstrationen teilnehmen« dürften, sagte Parlamentschefin Natalya Kotschanowa. Innenminister Juri Karajew entschuldigte sich im Staatsfernsehen bei den Bürgern für die Festnahme vieler Unschuldiger. Bei Polizeieinsätzen gegen Massenproteste komme es auch zu versehentlichen Festnahmen, sagte er.

»Als Kommandierender möchte ich die Verantwortung übernehmen und mich ehrlich auf menschliche Weise entschuldigen bei diesen Menschen«, sagte er. Zuvor hatten viele Belarussen ihre Uniformen demonstrativ in den Müll geworfen oder verbrannt und ihre Dienstmarken abgegeben. Es hatte Hunderte Verletzte gegeben. Eine Mutter aus Gomel hatte den Behörden vorgeworfen, dass ihr Sohn am Sonntag auf dem Weg zu seiner Freundin gefasst worden sei. Er habe nicht an Protesten teilgenommen. Der 25-Jährige starb wenig später unter ungeklärten Umständen im Gewahrsam.

Am Donnerstag legten Menschen in vielen wichtigen Staatsbetrieben ihre Arbeit nieder, auch zahlreiche Ärzte waren unter den Streikenden. Zudem bildeten die Bewohner Menschenketten und Tausende Frauen verteilten Blumen. Auch einige Journalisten von Staatsmedien kündigten aus Protest ihren Job. Viele unterschrieben einen Brief an die Behörden, in dem sie eine offene und ehrliche Berichterstattung über die Ereignisse einfordern. »Dass viele unserer Kollegen heute kündigten, war nicht nur ein Fake, politisches Kalkül oder eine PR-Aktion. Es ist der Ruf des Gewissens und die Unmöglichkeit, die tatsächliche Gewalt ungerührt anzuschauen«, hieß es in dem Appell.

Angesichts der tagelangen Proteste in Belarus gegen die umstrittene Wiederwahl von Staatschef Alexander Lukaschenko ist der Botschafter des osteuropäischen Landes am Donnerstag zu einem »dringenden Gespräch« ins Auswärtige Amt gebeten worden. Dies verlautete am Abend aus dem Außenministerium in Berlin. Zuerst hatte die »Bild-«Zeitung über den Vorgang berichtet. Dem Bericht zufolge wurde Botschafter Boris Sidorenko im Auswärtigen Amt die Position der Bundesregierung zur derzeitigen Lage in Belarus mitgeteilt.

Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) hatte am Mittag mehr »Druck auf die Machthaber« in Belarus gefordert. »Es ist vollkommen klar, dass das brutale Vorgehen und die Inhaftierung friedlich Demonstrierender (...) im Europa des 21. Jahrhunderts nicht akzeptabel sein wird«, sagte Maas. Auf EU-Ebene werde »intensiv über Sanktionen diskutiert«, und er hoffe auf eine gemeinsame Position der EU-Außenminister bei ihrer Konferenz am Freitag.

Die SPD fordert eine erleichterte Aufnahme von politisch verfolgten Menschen aus Belarus in Deutschland. Wer Belarus aus Sicherheitsgründen verlassen müsse, sollte in Deutschland und anderen EU-Staaten politisches Asyl bekommen, sagte der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Nils Schmid, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND, Freitagausgaben). Dies sei Deutschland »diesen engagierten Demokratinnen und Demokraten aus humanitären Gründen schuldig«.

An diesem Freitag wollen Außenminister der Europäischen Union über die Lage in Belarus beraten. Im Raum stehen mögliche Sanktionen gegen die autoritäre Führung in Minsk. Agenturen/nd

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