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Bis sie auseinanderplatzt
Kurz nach der Kandidatenkür der Sozialdemokraten sind von ihnen und den Grünen die alten Ultimaten gegenüber der Linken zu hören.
Das kann ein ermüdender Bundestagswahlkampf werden. Wenige Tage nach der Nominierung von Olaf Scholz zum SPD-Spitzenkandidaten fühlt man sich gefangen in einer Zeitschleife wie einst Bill Murray in »Täglich grüßt das Murmeltier«: Schon wieder laufen die gleichen Abgrenzungs- und Ermahnungsrituale gegenüber der Linkspartei ab wie 2013 und 2017. Scholz erklärte am Mittwoch schon mal, er schließe zwar eine Zusammenarbeit mit ihr nicht aus. Er habe aber Zweifel an ihrer »Regierungsfähigkeit« - die wohl meistgebrauchte Vokabel bereits in den vergangenen Wahlkämpfen. Es bestünden Zweifel, dass die Linke die habe, machte der amtierende Vizekanzler deutlich und forderte, sie müsse sich »bewegen«. Dagegen hatten sich die SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans vergangenes Wochenende offen für eine Koalition mit der Linken gezeigt. Esken sagte zudem, die SPD sei bereit, als Juniorpartnerin der Grünen in eine Regierung einzutreten.
Tatsächlich könnten die Grünen das letzte Wort darüber haben, ob es im Herbst 2021 zu einem Ende des dann 16-jährigen Durchregierens der Union, davon zwölf Jahre mit der SPD, kommt. Denn nach der Europawahl 2019 hatten sie einen beispiellosen Höhenflug erlebt. Zuletzt allerdings sanken ihre Zustimmungswerte: Grüne, SPD und Linke sind aktuell weit davon entfernt, eine Koalition bilden zu können. Die Sozialdemokraten kommen den jüngsten Umfrageergebnissen vom Mittwoch zufolge auf 18 Prozent und liegen damit erstmals seit langem wieder vor den Grünen (15 Prozent). Die Linkspartei konnte ebenfalls leicht auf neun Prozent zulegen. Würde jetzt gewählt, käme das Trio also auf gerade mal 42 Prozent.
Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass die Grünen sich bedeckt halten. Allerdings verteilten sowohl der Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Anton Hofreiter, als auch der ehemalige Grünen-Chef Jürgen Trittin schon mal Zensuren an die Linke. So äußerte Hofreiter im »Handelsblatt«, demokratische Parteien sollten zwar »Bündnisse nicht von vornherein ausschließen«. Bei der Linkspartei aber gebe es »ein gewisses Spektrum an Positionen, die nicht ganz einfach sind, insbesondere beim Thema Außenpolitik«. Damit spielte er auf die Forderung der Linken nach Auflösung der Nato und deren Ersetzung durch ein »System kollektiver Sicherheit unter Einschluss Russlands« an und auf ihre Ablehnung von Kampfeinsätzen der Bundeswehr. Ausgerechnet der ehemalige Parteilinke Trittin betonte gegenüber »Spiegel online«, es gebe inzwischen »neue Schnittmengen« mit der Union. Die Forderungen aus SPD und Linkspartei, sich zu Rot-Rot-Grün zu bekennen, wies er zurück. Gleichwohl bestehe bei entsprechenden Mehrheiten die Option eines »Linksbündnisses«.
Gerade mal acht Monate ist es her, dass Juso-Chef Kevin Kühnert seiner Partei auf deren Berliner Parteitag eine rote Socke entgegenhielt und kämpferisch für ein Zugehen auf die Linke warb. Mit Blick auf die Wahlen 2013 und 2017 ermahnte er die Genossen damals, sich nie wieder von Kampagnen der Union gegen die potenzielle Partnerin Linkspartei »kirre machen« zu lassen. Diejenigen, die mit dem Finger auf SPD und Linke zeigten, hätten selbst ein Problem: sich klar von der AfD abzugrenzen. Kühnert erntete dafür tosenden Applaus. Doch die versteinerten Mienen und verschränkten Arme etlicher Politiker in den vorderen Reihen bei diesen Worten zeigten auch, wie tief so mancher Sozialdemokrat und so manche Sozialdemokratin noch im Graben des Kalten Krieges sitzt. Und wie wenig viele bereit sind, auf die Linke zuzugehen. Dabei dürfte genau diese Haltung - und das Festhalten an Hartz IV und Niedrigsteuern für Konzerne - den Absturz der SPD von fast 41 Prozent der Wählerstimmen 1998 auf 20,5 Prozent 2017 und weitere Einbrüche in der Folge herbeigeführt haben.
Vor drei Jahren konnte die Angst der Sozialdemokraten vor einer Abkehr von neoliberalen Dogmen im Zuge rasant verebbenden Schulz-Hypes beobachtet werden. Der Spitzenkandidat Martin Schulz hatte sie zunächst in geradezu euphorische Zustände versetzt. Auf einem Parteitag im März des Jahres war der langjährige EU-Politiker mit 100 Prozent der Delegiertenstimmen gewählt worden. Innerhalb weniger Wochen verzeichnete die SPD danach 10 000 Neueintritte. Doch nachdem sie der CDU bei der Landtagswahl Ende März im Saarland unterlegen war, nahm Schulz sein Versprechen eines umfassenden Wiederaufbaus des von seiner Partei geschleiften Sozialstaats zurück und schloss ein Bündnis mit der Linken im Mai 2017 aus.
Dabei hatte die Linkspartei sich zuvor über Strömungsgrenzen hinweg geeinigt, für eine Koalition mit SPD und Grünen im Bund bereitzustehen, wenn auch unter der Voraussetzung, dass »rote Haltelinien« nicht überschritten werden dürften. Im Wahlprogramm war man schon damals von der Ablehnung aller Auslandseinsätze der Bundeswehr abgerückt und sprach sich nur noch gegen »Kampfeinsätze« aus.
Geht es nach den Verfassern eines Anfang August veröffentlichten Strategiepapiers, soll sich die Linke bereits auf ihrem Parteitag Ende Oktober in Erfurt klar zu Rot-Rot-Grün bekennen. Die Frage der Bundeswehreinsätze kommt in dem Dokument nicht vor. Sie dürfte aber die entscheidende sein, denn hier verlangen die anderen Parteien enorme Zugeständnisse - die jedoch einem Verlust der »Identität« der Partei gleichkämen, wie es Parteichef Bernd Riexinger am Montag im Gespräch mit »nd« formulierte. Derweil formulierte ein SPD-Genosse diese Woche auf Twitter schon mal, was so sicher auch Olaf Scholz von der Linken erwartet: »Außenpolitisch ein verlässlicher Partner, klare Bezeichnung der DDR als ein diktatorisches Unrechtsregime und das Abstoßen von radikal-kommunistischen Plattformen müssen Forderungen der SPD sein für eine Koalition mit Linken.«
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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