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Techniker der Macht
Im linken Spektrum wird SPD-Spitzenkandidat Olaf Scholz nicht punkten. Trotzdem wäre es falsch, ihn zu unterschätzen.
Wenn Technokraten auf einmal versuchen, ironisch zu sein, geht das meistens daneben. Auch Olaf Scholz wirkte etwas unbeholfen, als er kürzlich verkündete, dass die Bundesregierung mit »Wumms aus der Krise« kommen wolle. Wenige Wochen vorher hatte er einen Song der Neuen Deutschen Welle zitiert: »Jetzt wird wieder in die Hände gespuckt, wir steigern das Bruttosozialprodukt.« Für ihn und alle Teilnehmenden der Pressekonferenz war es besser, dass der Bundesfinanzminister nicht versuchte, diese Zeilen zu singen. Es hätte wohl ähnlich schräg geklungen wie bei seiner SPD-Kollegin Andrea Nahles, die einst im Bundestag ein Lied von Pippi Langstrumpf anstimmte.
Mit diesen Auftritten will Scholz sein Image ändern. Die Menschen sollen in ihm nicht mehr nur den unterkühlten Norddeutschen und Techniker der Macht sehen. Ob das gelingt, ist indes zweifelhaft. Denn auch wegen seines Rufs, ein Pragmatiker zu sein, hat die SPD-Führung nun den Vizekanzler zum Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl 2021 bestimmt. Sie weiß, dass die Wirtschaftskrise infolge der Corona-Pandemie noch lange nicht überwunden ist. Die Hoffnung der Genossen liegt darin, dass das Wahlvolk in diesen schwierigen Zeiten einem Mann mit viel Erfahrung vertraut.
Aber reicht das aus, um eine Wahl zu gewinnen? Das letzte Mal gelang das den Sozialdemokraten unter Gerhard Schröder. Der setzte zwar Kriegspolitik und Sozialabbau durch, stand aber auch für gesellschaftliche Visionen und das rot-grüne Projekt. Seine Regierung verabschiedete ein Gesetz zum Atomenergie-Ausstieg und modernisierte das Staatsbürgerschaftsrecht. Scholz hat hingegen - ähnlich wie Kanzlerin Angela Merkel - keine Visionen und wehrt sich vehement gegen die Vermutung, er würde eine rot-rot-grüne Koalition im Bund präferieren.
Dabei ist Scholz in seinen Jugendjahren im linken Flügel der Partei gestartet. Er gehörte dem Stamokap-Flügel bei den Jusos an und vertrat die Jungsozialisten im Koordinierungsausschuss der Friedensbewegung. Warum Scholz im Laufe der Zeit mit seinen politischen Idealen brach, ist nicht überliefert. Sicher ist aber, dass es bereits in den 1980er Jahren für Parteilinke schwierig war, in der Hamburger SPD Karriere zu machen. Der Landesverband wurde in dieser Zeit von unternehmensnahen Politikern wie den Bürgermeistern Klaus von Dohnanyi und Henning Voscherau dominiert.
Lediglich Voscheraus Nachfolger Ortwin Runde hatte den Ruf, ein linker Sozialdemokrat zu sein. Doch in seiner Amtszeit ging es für die Hamburger SPD in den Umfragen bergab. Die aufstrebende rechte Schill-Partei und große konservative Medien der Hansestadt verlangten immer lauter ein härteres Vorgehen gegen Drogendealer in der Innenstadt. So entschieden sich die Sozialdemokraten, Runde einen harten Hund an die Seite zu stellen. Kurz vor der Bürgerschaftswahl 2001 wurde Scholz, damals Vorsitzender des Landesverbands, zum Innensenator gekürt. Die »Zeit« wusste bereits damals aus gut informierten Kreisen, dass Scholz als »kanzlertauglicher Nachwuchs« galt.
Hamburgs harter Hund
In den Folgemonaten war Scholz verantwortlich für ein Gesetz, das die zwangsweise Verabreichung von Brechmitteln bei mutmaßlichen Drogendealern ermöglichte, um Beweismaterial zu sichern. Obwohl der Nigerianer Achidi John nach einem solchen Einsatz starb, hat sich Scholz bislang nicht von dieser inzwischen juristisch geächteten und wieder abgeschafften Praxis distanziert. In der Hamburger linken Szene ist der Todesfall nicht vergessen. Sie nannte den Platz vor der Roten Flora im Schanzenviertel Achidi-John-Platz.
Voll in seinem Element war Scholz, als er als Bürgermeister 2017 den G20-Gipfel nach Hamburg geholt hatte. Er wollte schon immer mehr sein als ein Provinzfürst und auf der großen Bühne der Weltpolitik mitspielen. Doch alles ging schief. Es kam zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Demonstrierenden und der Polizei und Zerstörungen in der Stadt. Im Zentrum der Kritik stand das Sicherheitskonzept des Senats.
Wohl auch, um ihren Genossen aus der Schusslinie zu befördern, durfte Scholz in die Bundespolitik wechseln. Dort hatte er bereits Erfahrungen als Arbeits- und Sozialminister. Im Kabinett von Angela Merkel ist der Hamburger der wichtigste Sozialdemokrat. Er kümmert sich um die Finanzen und ist Vizekanzler.
Wie wandlungsfähig Scholz ist, zeigt sich in der Coronakrise. Der sparsame Finanzminister mutierte über Nacht zum Keynesianer und bewilligte Konjunkturprogramme. Bald wird er sich aber mit der Frage beschäftigen müssen, wer die Krisenkosten bezahlt. Offiziell tritt Scholz für eine Wiederbelebung der Vermögensteuer ein. Wie diese aussehen soll, ist jedoch noch offen. Zudem war Scholz als einstiger Generalsekretär unter Gerhard Schröder einer der Architekten der neoliberalen Agenda 2010. Auch wenn Änderungen bei Hartz IV mit Scholz denkbar sind, wird er das von ihm mit vorangetriebene Konzept zur Drangsalierung von Erwerbslosen nicht komplett über den Haufen werfen.
Auch deswegen wurde der 62-Jährige von linken Genossen immer wieder skeptisch beäugt. Parteitagsdelegierte straften ihn zuweilen ab. So erhielt Scholz bei seiner Kandidatur für den Vizevorsitz ohne Gegenkandidaten vor drei Jahren knapp unter 60 Prozent der Stimmen. Noch schlimmer erging es Scholz, als er gemeinsam mit Klara Geywitz für den Parteivorsitz kandidierte. Sie unterlagen beim Basisvotum Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans.
Doch das bedeutet nicht, dass man Scholz im Bundestagswahlkampf unterschätzen sollte. Der konservative Flügel steht geschlossen hinter ihm. Und der scheidende Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert drängt die Jungsozialisten dazu, Scholz zu unterstützen. Kühnert kann bei einem Erfolg seiner Partei sicher sein, ein mächtiges Amt in Fraktion oder Bundesregierung zu erhalten. Im Unterschied zu den SPD-Kandidaten Frank-Walter Steinmeier, Peer Steinbrück und Martin Schulz hat Scholz überzeugende Siege bei wichtigen Landtagswahlen eingefahren. In den Umfragen sieht es für die Partei zwar katastrophal aus, aber bis zur Wahl ist es noch mehr als ein Jahr. Der Auftrag für Scholz ist klar: Er soll der Union Wähler abspenstig machen, die einen ähnlich nüchternen Politikertyp wie Angela Merkel bevorzugen. Im linken Spektrum sind seine Erfolgsaussichten hingegen gering.
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