Kultur ist Stadtortfaktor
Studie zum Stellenwert kultureller Angebote vorgestellt / Charité gibt grünes Licht für volle Opernhäuser
Der Ansatz ist langfristig angelegt. »Wir stellen heute den Start eines Instituts vor, um die kulturelle Teilhabe in Berlin zu erforschen«, sagt Kultursenator Klaus Lederer. Der Linke-Politiker ist am Montagmorgen extra in das neue Institut für Kulturelle Teilhabeforschung nach Charlottenburg gekommen, das von ihm maßgeblich gefördert wird. Das Ziel der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der neuen Einrichtung ist es, belastbare Daten über die Kulturnutzungen der Berliner zu sammeln. »Wir wollen die gesamte Stadtgesellschaft abbilden«, sagt Lederer.
Auf das Ergebnis der Datenerhebung sollen auch qualitative Untersuchungen aufbauen, die einen besseren Einblick in die kulturellen Wünsche und Vorlieben ermöglichen könnten. Die Senatskulturverwaltung hat sich seit dieser Legislatur auf die Fahne geschrieben, Barrieren abzubauen und die kulturellen Angebote in der Fläche zu stärken. Am Ende geht es darum, die Kulturförderung anhand der Daten, die über Jahrzehnte erhoben werden sollen, zu schärfen.
Erstmals wurde vom Institut für Kulturelle Teilhabeforschung zwischen Juni und Oktober 2019 eine repräsentative Umfrage zur Kulturnutzung der Berliner gemacht, insgesamt 3400 Personen nahmen an der schriftlichen Befragung teil. Der Titel der Studie lautete »(Nicht-)Besucher*innen-Studie«. Gesucht wurde unter anderem nach Antworten auf Fragen, wie die Berliner in ihrer Freizeit Kultur nutzen. Ein Kernergebnis: »Die Berlinerinnen und Berliner stellen dem Kulturangebot ein sehr gutes Zeugnis aus - 94 Prozent sind eher oder sehr zufrieden«, sagt Kulturmanagerin Vera Allmanritter, die das neue Institut leitet. Lediglich 7 Prozent der Teilnehmer waren »sehr unzufrieden« mit dem vorhandenen Angebot. Dabei spielen hohe Eintrittspreise, wenig Freizeit und wenig Informationen zu Angeboten eine Rolle.
Die Untersuchung zeigt auch, wie weit das Feld kultureller Angebote in der Hauptstadt tatsächlich ist. So werden hier nicht nur klassische Konzerte, Oper oder Ballett als Kulturangebot gezählt, sondern auch Besuche von Zoos, Bibliotheken, Musicals, sogar Sportveranstaltungen in Stadien. Besonders beliebt unter den Teilnehmenden waren Filmvorführungen. »Mehr als vier von fünf Befragten gaben an, in den letzten zwölf Monaten mindestens ein entsprechendes Angebot besucht zu haben«, heißt es in einer kurzen Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse. Danach folgen Zoos und Tierparks sowie Popkonzerte. Immerhin 40 Prozent der Befragten besuchten Ausstellungen, Theater, Bibliotheken oder Clubs und Diskotheken.
Bezüglich der beiden Letztgenannten wirken die Ergebnisse der Studie angesichts der Coronakrise freilich schon wieder antiquiert. Viele Einrichtungen der Clubkultur beispielsweise können die Veranstaltungen, für die sie berlinweit und darüber hinaus bekannt sind, derzeit aufgrund der Abstands- und Hygieneregeln überhaupt nicht durchführen. Szene-Giganten wie das »Berghain«, aber auch andere Clubs versuchen, sich mit Kunstausstellungen mehr schlecht als recht über Wasser zu halten. »Wir unterstützen Clubs in der Coronakrise, und haben dazu eine völlig neue Schiene der öffentlichen Finanzierung aufgelegt«, sagt der Kultursenator, der sich in den vergangenen Monaten immer wieder für die Förderung kultureller Einrichtungen in Berlin starkgemacht hat.
So soll erreicht werden, dass nach der Krise nicht nur noch zwei Eventkonzerne übrig bleiben und alle anderen Kulturanbieter, die die kulturelle Vielfalt Berlins ausmachen, zugrunde gehen. Doch wie Berlins Kulturszene aus der Krise kommt, weiß niemand. Klar ist: Zuletzt hat sich die kulturelle Nutzung immer mehr ins Internet verlagert. Auch diese Entwicklungen will das neue Institut für kulturelle Teilhabe genauer untersuchen.
Wie der RBB am Montag berichtete, hat die Charité unterdessen eine spezielle Empfehlung zum Publikumsbetrieb bei Klassikkonzerten und Opernvorstellungen herausgegeben. Demnach spricht zumindest aus Sicht der Institute für Sozialmedizin und Epidemiologie sowie für Hygiene und Umweltmedizin nichts mehr gegen voll besetzte Säle - sofern alle Besucher zum Tragen eines Mund-Nase-Schutzes während der gesamten Veranstaltung verpflichtet werden. Hinzu kommen etliche weitere Vorbedingungen: von den üblichen Hygiene- und Belüftungsregeln bis zur kontaktlosen Ticketkontrolle und zum Verzicht aufs Catering.
»Das Publikum von Klassikveranstaltungen ist diszipliniert und hat ein aufgeklärtes Verständnis für gesundheitliche Zusammenhänge«, begründete Stefan Willich, Direktor des Instituts für Sozialmedizin und Epidemiologie, im RBB-Inforadio.
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