- Berlin
- Union Busting
Berlin: Anklagebank ohne Betriebsratsfeinde
In der Berliner Justiz bleibt die Behinderung von Betriebsräten ein Randphänomen
In Betrieben werden Betriebsräte gewählt. So steht es – etwas verklausuliert zwar, aber sehr bestimmend – ganz am Anfang des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG), das die Mitbestimmung in Unternehmen regelt. Und weiter hinten in dem Gesetzestext steht in Paragraf 119: Mit Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine Betriebsratswahl behindert oder die Tätigkeit eines Betriebsrates stört.
In guter Regelmäßigkeit berichtet »nd« über zweifelhafte Vorgänge in Berliner Unternehmen, die sich zumindest am Rande der Legalität bewegen dürften. Dennoch gilt auch für das Jahr 2024, was »nd« für 2023 und die Jahre davor berichtet hatte: Gegner*innen von Betriebsräten müssen die Gerichtssäle nicht fürchten – auch in Berlin nicht.
Wie die Berliner Staatsanwaltschaft auf Nachfrage mitteilt, spielt der Straftatbestand Betriebsratsbehinderung »im Alltag einer Strafverfolgungsbehörde nur eine untergeordnete Rolle«. Wie die Behörde »nd« weiter mitteilt, wurden im vergangenen Jahr lediglich zwei Verfahren mit Bezug zum Paragrafen 119 geführt. In beiden Fällen blieben die mutmaßlichen Täter*innen unbekannt, beide Verfahren wurden eingestellt. Insgesamt seien in den letzten fünf Jahren 25 Verfahren im Zusammenhang mit gestörten Betriebsratswahlen oder der Behinderung von Betriebsratsarbeit geführt worden. Laufend ist nur noch ein Verfahren aus 2022. Hier hat die Staatsanwaltschaft tatsächlich zum ersten Mal überhaupt Anklage wegen unrechtmäßiger Eingriffe in die Betriebsratsarbeit bei der Einzelhandelskette Foot Locker erhoben.
2023 hatte der damals rot-grüne-rote Senat die Zuweisung aller Verfahren mit Verbindung zum Paragrafen 119 (BetrVG) gebündelt an eine Spezialabteilung festgelegt. Die amtierende schwarz-rote Koalition hat die Fortführung dieser Regelung beschlossen.
Die Rechtsvorschriften gelten als für betroffene Betriebsräte mit hohen Hürden verbunden. Da es sich bei Verstößen gegen Paragraf 119 BetrVG um ein sogenanntes Antragsdelikt handelt, darf die Staatsanwaltschaft nur ermitteln, wenn die Geschädigten oder eine Gewerkschaft selbst Strafantrag stellen. Da dies womöglich auf viele abschreckend wirkt, sich in Konfrontation mit seinem Arbeitgeber zu begeben, hatte die alte Ampel-Bundesregierung eine Reform zum Offizialdelikt vorbereitet, darüber aber durch ihr Aus nicht mehr entschieden. Die Staatsanwaltschaften hätten dann von Amts wegen ermitteln müssen, also immer dann, wenn sie durch anonyme Hinweise oder Presseberichte auf mögliche Verstöße aufmerksam werden.
Die Berliner Senatsverwaltung für Justiz will dennoch an der gebündelten Zuweisung festhalten. »Bei Delikten, die kein besonders hohes Fallaufkommen bei der Staatsanwaltschaft haben, kann eine Bündelung schon deshalb sinnvoll sein, um überhaupt eine Expertise für diese aufzubauen«, teilt eine Sprecherin »nd« mit. Dies träfe auf die Delikte nach dem BetrVG zu. Von der Berliner Staatsanwaltschaft klingt das etwas anders. Wie ein Sprecher erklärt, sehe man aufgrund des geringen Fallaufkommens und wegen nicht außergewöhnlicher Komplexität der Fälle, »keine Notwendigkeit besonderer Schulungsmaßnahmen«.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.