Fast alle Lehrer müssen ran

Nur noch wenige Pädagogen werden vom Unterricht freigestellt. Die Gewerkschaft GEW hält das für riskant

Das Ziel der Kultusminister war schon vor Wochen klar formuliert. Nach den Sommerferien sollten die Schulen trotz einer möglichen zweiten Corona-Infektionswelle wieder zum Präsenzunterricht zurückkehren. Weil es dafür Pädagogen in den Klassen braucht, war zu befürchten, dass es für Lehrer schwerer werden würde, sich vom Unterricht befreien zu lassen, wenn sie einer Risikogruppe angehören.

Aber dennoch ist es überraschend, wie wenig Lehrer in einigen Bundesländern noch freigestellt worden sind. Im Saarland etwa werden laut Schätzung des Kultusministeriums nur 1,4 Prozent der Pädagogen von der Präsenzpflicht entbunden. Vor den Ferien waren es noch 13 Prozent. Ähnlich sieht es in Mecklenburg-Vorpommern aus, auch dort dürfen nur noch 1,5 Prozent der Lehrer von zu Hause aus arbeiten. Im Frühjahr konnte es noch jede dritte Lehrkraft. Meistens reichte dafür ein einfaches Attest vom Arzt aus. Doch diese Zeiten scheinen nun vorbei zu sein.

Besonders rigide ist die Politik in Schleswig-Holstein. Insgesamt reichten dort etwa 2000 Pädagogen Anträge auf eine Befreiung von der Präsenzpflicht ein, aber nur rund 100 wurden bewilligt. Das entspricht einer Quote von 0,4 Prozent. Kultusministerin Karin Prien (CDU) erklärte, es komme »immer nur auf die individuelle Risikobewertung an«. Wer an einer Zivilisationskrankheit wie Übergewicht oder Asthma leidet, habe nicht per se ein besonderes Schutzbedürfnis.

Die Erziehungsgewerkschaft GEW bemängelt an dem Vorgehen, dass es keine ausreichende Einzelfallprüfung seitens der verantwortlichen Betriebsärztin gegeben habe. »Die Fälle wurden einfach abgebürstet«, kritisierte der GEW-Landesgeschäftsführer Bernd Scheuer. »Die harte Linie der Bildungsministerin ist absolut unverständlich.« Dass Lehrkräfte mit risikoreichen Vorerkrankungen durch das Bildungsministerium in Klassenräume mit 25 Personen gezwungen werden, dürfe nicht sein. Laut Gewerkschaft laufen gegen die Entscheidungen des Ministeriums derzeit zehn Klagen vor dem Verwaltungsgericht in Schleswig, über die in Kürze verhandelt werde.

»Es geht uns nicht darum, die Lehrer vollständig zu Hause zu lassen«, erläuterte der Gewerkschafter. »Aber wichtig ist es, für die betroffenen Pädagogen individuelle Möglichkeiten zu finden, damit sie unterrichten können - beispielsweise besondere Schutzvorrichtungen im Klassenraum oder einen Lehrer für den Förderunterricht einzusetzen, der mit wenigen Schülern und großem Abstand stattfinden kann.«

Auch die Bildungsministerin des Bundes, Anja Karliczek (CDU), appellierte an die Verantwortung der Schulbehörden. »Wichtig für jeden Arbeitgeber ist, auf die Gesundheit seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu achten.« Die Arbeit der Lehrer dürfe nicht zu einem persönlichen Risiko werden. Die Ministerin betonte aber zugleich: »Um gute Bildung auch in Corona-Zeiten sicherstellen zu können, müssen wir alle Kräfte mobilisieren.«

Schon vor der Corona-Pandemie war die Situation an vielen Schulen angespannt. Fast überall fehlten Lehrkräfte. Einer Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung zufolge war die Not an den Grundschulen am größten. Dort fehlten bis 2025 mindestens 26 000 Lehrkräfte. Die Kultusminister schätzen die Situation zwar nicht ganz so gravierend ein, aber auch sie sprechen von einem kurzfristigen Engpass von 12 400 Lehrern. Angespannt ist die Situation auch an Berufs-, Haupt- und Realschulen. Nur an Gymnasien gibt es derzeit ein Überangebot.

Ob der Lehrermangel das Handeln der Amtsärzte tatsächlich beeinflusst hat, Pädagogen nicht mehr freizustellen, das ist eine Frage, die unbeantwortet bleibt - und damit das Misstrauen bei der Gewerkschaft noch vergrößert.

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