Zwischen Vision und Praxis
Die Linke startet Diskussionsprozess zum Wahlprogramm
Die Linkspartei habe in letzter Zeit ein paar »grobe Fehler« gemacht, sagt Magnus Hengge von der Stadtteilinitiative Bizim Kiez. Er meint damit vor allem die Räumung der linken Kiezkneipe »Syndikat«, die gefühlt halb Neukölln gegen die rot-rot-grüne Landesregierung und insbesondere ihre linken Vertreter*innen aufgebracht hatte. »Wir müssen darüber reden, wie mit Besetzungen umgegangen wird«, findet Hengge mit Blick auf die »Berliner Linie«, laut der Besetzungen innerhalb von 24 Stunden beendet werden sollen. Schließlich stehen in nächster Zeit noch weitere davon an, wie die des feministischen Hausprojekts »Liebig34« und des selbstverwalteten Jugendzentrums »Potse«.
Eine Alternative hat die Linke sogar im Gepäck, sie favorisiert stattdessen das Züricher Modell, das als Voraussetzung für eine Räumung den Nachweis einer Nachnutzung vorsieht. Doch damit scheitert sie - wie so oft - am Koalitionspartner SPD. »Wir bewegen uns zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen Vision und Alltag«, erklärt Vizesenatschef und Kultursenator Klaus Lederer am Dienstagabend, warum sich nicht alle Ansprüche auch im Regierungshandeln widerspiegeln. Visionen will die Linke aber trotzdem entwickeln, dafür startete sie am Dienstagabend die Diskussion zum Wahlprogramm für das »Superwahljahr 2021«, in dem im Herbst nicht nur die Kandidat*innen für den Bundestag, sondern auch für das Berliner Abgeordnetenhaus und die Bezirksverordnetenversammlungen gewählt werden.
Zum Auftakt hat sich der Berliner Landesverband Vertreter*innen aus der Zivilgesellschaft eingeladen, die einen bunten Strauß an Forderungen zusammentrugen. Für Gabriele Schlimper vom Paritätischen Wohlfahrtsverband, lautet die Antwort auf die Frage, was künftig am dringendsten angegangen werden muss, ganz klar: »Kitaplatzausbau!« Unter anderem dort brauche es mehr Inklusion. »Wir sind nicht nur eine junge und hippe Gesellschaft«, sagt die Geschäftsführerin, es lebten auch viele ältere und behinderte Menschen in der Stadt. Für sie brauche es bessere Angebote etwa beim öffentlichen Nahverkehr, damit war sie sich mit Jens Wiesecke vom Berliner Fahrgastverband IGEB einig.
Das Motto des Programmprozesses »Geschichte wird gemacht«, findet die Stadt- und Migrationsforscherin Noa K. Ha besonders interessant. »Die Frage ist doch, wessen Geschichte überhaupt erzählt wird«, sagt sie mit Blick auf die migrantische Community in der Hauptstadt. Ha hat viele Fragen: »Warum werden Flüchtlinge überhaupt separat und nicht in Wohnungen untergebracht?«, will sie etwa wissen. Sie berührt damit einen zentralen Verantwortungsbereich der Linken, die in der Koalition für die Unterbringung von Geflüchteten zuständig ist.
Was an diesem Abend alle bewegt, ist das Thema Verdrängung von Gewerbe. »Auch soziale Institutionen gelten als Gewerbe«, erklärt Schlimper, sie seien damit die »Verlierer des Mietendeckels«. Das gelte auch für Einrichtungen, in denen Menschen leben, wie etwa Betreutes Wohnen. »Hier wünsche ich mir mehr als nur die Antwort: Gewerbe ist Bundesrecht«, nimmt sie Lederers Antwort vorweg, der trotzdem auf eine entsprechende Bundesratsinitiative seiner Partei verweist.
Eine Idee, wie Kleingewerbe auch auf Landesebene geschützt werden kann, hat Magnus Hengge: »Soziale Einrichtungen und Kiezkneipen sollten als Gemeingut anerkannt werden.« Linke-Landesvorsitzende Katina Schubert ist offen für neue Wege: »Wenn der Bund beim Schutz von Gewerbe nichts tut, müssen wir darüber nachdenken, wie wir ihn austricksen können«, sagt sie. Beim Mietendeckel habe es schließlich auch zunächst geheißen, das würde nicht gehen. In den nächsten Monaten haben die Mitglieder nun in Workshops und Werkstätten die Gelegenheit, dafür Ideen zu sammeln.
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