»Die Pandemie zeigt uns die Defizite auf«

In Peru wehren sich indigene Gemeinden gegen die Benachteiligung, die in der Coronakrise überdeutlich wird

  • Knut Henkel
  • Lesedauer: 3 Min.

Für Melania Canales Poma reißen die schlechten Nachrichten nicht ab. Steigende Infektionszahlen in der Amazonasregion, aber auch im indigenen Hochland, machen der Vorsitzenden der landesweit aktiven indigenen Frauenorganisation ONAMIAP genauso Sorgen wie die Strategie der peruanischen Regierung unter Präsident Martín Vizcarra. »Sie agiert zum Vorteil der großen Konzerne, setzt weiterhin auf den Bergbau und versucht erst gar nicht strukturelle Defizite abzubauen«, kritisiert die Frau von Anfang fünfzig. Dazu gehört nicht nur das miese öffentliche Gesundheitssystem, welches in den vergangenen Dekaden mehr und mehr privatisiert wurde, sondern auch die Verletzung von Grundrechten der indigenen Völker. »Wer in Peru heute kein Geld hat, kann sich den Zugang zum Gesundheitssystem kaum leisten. Das betrifft das Gros der Menschen mit indigenen Wurzeln. Das müssen wir ändern, aber auch den Schutz unserer Territorien verbessern. Dazu brauchen wir eigene indigene Institutionen«, so Canales Poma.

Canales Poma lebt in Ayacucho. Die Stadt zählt zum andinen Hochland, wo die Zahl der Bergbaukonflikte hoch ist. Einer hat in den vergangenen vier Wochen Schlagzeilen gemacht, weil die Menschen auf die Straßen gingen: Espinar. In der drei Stunden Fahrtzeit von der alten Inkastadt Cusco entfernten Provinzstadt dreht sich alles um Kupfer. Seit mehr als 30 Jahren wird das rötliche Metall gefördert und unter anderem auch nach Deutschland exportiert.

Glencore heißt der Schweizer Rohstoffkonzern, der die Mine Antapaccay betreibt. Glencore plant, die Mine zu erweitern. Dazu sind Gespräche und Verhandlungen mit den indigenen Gemeinden in der Region nötig. Auf dem Weg dahin hat die Minengesellschaft ein Eigentor geschossen. »Die Mine hat die Forderung pro Familie 1000 Soles (240 Euro) aus einem von der Mine und lokalen Organisationen verwalteten Entwicklungsfonds auszuzahlen, verweigert. Das Geld sollte als Nothilfe dienen, um die lokale Wirtschaft nach dem Lock-Down zu reanimieren«, so der Bergbauexperte Jaime Borda gegenüber »nd«. Daraufhin wurde die Kupfermine Antapaccay 24 Tage lang im Juli bestreikt. Erst als der neu vereidigte Minister für Bergbau und Energie, Luis Miguel Incháustegui, vergangene Woche in die Region reiste, konnte der Konflikt entschärft werden.

»Nun ist die Hilfe über 1000 Soles bewilligt«, so Borda, der für das entwicklungspolitische Netzwerk »Red Muqui« arbeitet und bei den Verhandlungen zugegen war. Die meist indigenen und Quetchua-sprechenden Bewohner der Region erhalten somit eine Chipkarte, mit der nur bestimmte Produkte gekauft werden können. Ein Kompromiss. Doch weitere müssen noch gefunden werden, denn seit Jahren wird die Mine für die Kontaminierung von Wasser, Boden und Menschen mit Schwermetallen verantwortlich gemacht - ohne dass die Missstände abgestellt wurden.

Canales Poma hält die Probleme rund um die Kupfermine Antapaccay für keinen Einzelfall. Sie verweist auf den zweiten Konflikt in der Amazonasregion Loreto. Dort wurden Anfang August drei von 70 indigenen Demonstranten von der Polizei erschossen als sie gegen die Erdöl-Förderung eines kanadischen Unternehmens mobil machten. »Rund um die Pumpstation ist es bereits mehrfach zu Pipelinebrüchen und zur Kontaminierung von Flüssen gekommen. Das ist eine Ursache der Proteste. Die andere ist, dass die indigenen Gemeinden nicht an der Förderung der natürlichen Ressourcen partizipieren«, meint Canales Poma. In Peru, wo derzeit 84 Bergbaukonflikte bei der staatlichen Ombudsstelle registriert sind, ein wiederkehrendes Problem. Genau deshalb wirbt Canales Poma um Unterstützung beim Aufbau indigener Organisationen. Die sollen dort aktiv werden, wo der Staat in aller Regel nicht präsent ist. In Orten wie Espinar oder in der Region um Loreto, wo die Konflikte mit der Pandemie wieder offen zu Tage treten.

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