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Ein Unheil, das nicht vom Himmel fiel

Auf die unvollendeten sozialen Reformen der brasilianischen Arbeiterpartei folgte eine ganze Konterrevolution

  • Peter Steiniger
  • Lesedauer: 3 Min.

Brasiliens angestammtes Herrenhaus hat das Rad der Geschichte zurückgedreht. Die Gesellschaft wurde gespalten, Hass auf Andersdenkende gesät. Jahrelang fuhren Medien Kampagnen gegen die seit 2003 in Brasilia regierende Arbeiterpartei von Lula da Silva. Auf diesem Boden entstand das Klima, das 2018 den raschen Aufstieg des faschistischen Kongress-Hinterbänklers Jair Bolsonaro möglich machte.

Vier Mal in Folge ging die PT seit 2002 aus Präsidentschaftswahlen als Siegerin hervor. Brasilien verdankte den Regierungen von Lula und seiner Nachfolgerin Dilma Rousseff das Zurückdrängen der Armut und den Sieg über den Hunger. Brasilien machte selbstbewusst eine unabhängige Außenpolitik, die dem Land weltweit Achtung eintrug. Viele Millionen Brasilianerinnen und Brasilianer konnten in dieser Ära auf der sozialen Leiter aufsteigen. Doch der Filz von Politik und Wirtschaft blieb intakt. Die PT wollte breitere Teilhabe, keinen Systembruch, keine echte Umverteilung. Das ökonomische Entwicklungsmodell des Rohstoff-Extraktivismus wurde fortgeführt, radikale linke Ideen opferte die Regierungspartei pragmatisch politischen Allianzen mit Kräften rechts von ihr. Dabei entfernte sie sich zunehmend von ihrer Basis und den sozialen Bewegungen. Die weißen Mittelschichten wendeten sich gegen die PT, als sie ihre Privilegien schwinden sahen. Die konservativ geprägte Gesellschaft, in der evangelikale Freikirchen immer mehr Einfluss gewinnen, zeigte einen heftigen Gegenreflex zu linken Konzepten in der Bildungs-, Sozial-, Diversitäts- und Genderpolitik.

Eine Schlüsselrolle für den Rechtsruck spielte der von der Militärdiktatur 1964 -1985 strategisch geförderte und so zum Herrscher über Brasiliens Medienlandschaft aufgestiegene Globo-Konzern des Marinho-Familienclans. Er bereitete den Erfolg der Fake-News-Fabrik der Bolsonaristas in den sozialen Netzwerken vor. Bereits 2013 schoben Globos Kanäle sozialen Protesten erfolgreich eine nationalistische Agenda unter. Anknüpfend an eine allgemeinen Unzufriedenheit mit historisch gewachsenen Übeln des Landes wie der Korruption, setzte Globo Massen gegen die Rousseff-Regierung in Bewegung - eine Generalprobe nach dem Muster »farbiger« Revolutionen. Aufgeführt wurde das Stück drei Jahre später. Ein Parlamentsputsch in Form eines Impeachments stahl Rousseff das Amt, das sie 2014 in der Stichwahl gegen den Konservativen Aécio Neves erfolgreich verteidigt hatte. Das Foto (rechts) von den Demos der Befürworter und Gegner des Prozesses vor dem Kongress in Brasília vor der Abstimmung im Unterhaus am 17. April 2016 verdeutlicht die enorme Polarisierung der Gesellschaft.

Der manipulierte Korruptionsprozess gegen Lula, der anderthalb Jahre unschuldig in Haft saß und bei der Wahl 2018 nicht antreten durfte, vervollständigte den Betrug an der ohnehin fragilen Demokratie. Das von den USA geförderte Komplott gegen die Linke hat Brasilien eine neoliberale Agenda beschert und in eine institutionelle Krise gestürzt. Bolsonaro steht für eine machistische Kultur der Gewalt. Der Coronakrise begegnet er mit Zynismus. Wie Marcia Tiburi sind etliche linke Köpfe emigriert. Unter den ersten war der schwule PSOL-Politiker Jean Wyllys. der in Brasilien ebenfalls um sein Leben fürchten musste.

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