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Christchurch-Attentäter vor dem Urteil - Überlebende haben das Wort
Knapp eineinhalb Jahre nach dem blutigen Anschlag auf zwei Moscheen in Neuseeland hat am Montag die Anhörung von Opfern und Angehörigen begonnen
Christchurch. Für Dutzende Menschen in Neuseeland werden in diesen Tagen furchtbare Erinnerungen wach: Knapp eineinhalb Jahre nach dem blutigen Anschlag auf zwei Moscheen in Christchurch mit Dutzenden Toten hat an diesem Montag die Anhörung von Überlebenden und Angehörigen der Opfer begonnen. Mindestens vier Tage lang sollen sie vor Gericht die Möglichkeit erhalten, sich zu äußern und von den Folgen des Massakers zu erzählen. Justizangaben zufolge werden Erklärungen von 66 Personen verlesen. Bei Bedarf kann die Anhörung verlängert werden. Anschließend wird das Urteil gegen den Attentäter verkündet - möglicherweise kommt er nie wieder frei.
Richter Cameron Mander sagte zu Beginn der Anhörung, er habe insgesamt rund 200 Erklärungen von Betroffenen erhalten sowie Eingaben muslimischer und anderer gesellschaftlicher Organisationen. »Ich habe sie alle gelesen.«
Maysoon Salama, deren Sohn Ata Elayyan bei dem Anschlag getötet wurde, sagte in ihrer Stellungnahme, er sei einem »unmenschlichen« Mord zum Opfer gefallen. Der Täter habe »ganz Neuseeland terrorisiert und die ganze Welt traurig gemacht.« An den Angeklagten gerichtet fügte sie hinzu: »Du dachtest, Du könntest uns zerbrechen. Aber Du bist erbärmlich gescheitert.« Elayyans Witwe Farah Kamal sagte in ihrer Erklärung, sie und ihre Tochter hätten lernen müssen, »mit dem unbeschreiblichen Schmerz« des Verlusts zu leben.
Der 29-Jährige Rechtsextremist aus Australien hatte am 15. März 2019 muslimische Gläubige attackiert und 51 Menschen getötet. 50 weitere wurden verletzt. Die Tat übertrug er per Helmkamera im Internet. Zuvor hatte er ein Manifest mit rassistischen und rechtsextremen Parolen per E-Mail verschickt und ins Netz gestellt. Es war das verheerendste Gewaltverbrechen in der jüngeren Geschichte des Pazifikstaates.
Dem Angeklagten werden 51 Morde, 40 versuchte Morde sowie Terrorismus zur Last gelegt. Im März hatte er sich per Videoschalte schuldig bekannt, nachdem er zuvor ein Jahr lang auf nicht schuldig plädiert hatte. Durch das Schuldeingeständnis entfiel ein Prozess. Für die Überlebenden und Angehörigen war dies eine Erleichterung, da sie fürchteten, der Attentäter könne das Verfahren als Plattform zur Verbreitung seiner rechtsextremistischen Ansichten nutzen.
Der Angreifer hatte zunächst in der Al-Nur-Moschee im Stadtteil Riccarton 42 Menschen erschossen, weitere sieben tötete er im Linwood Islamic Centre. Zwei Verletzte starben später im Krankenhaus. Das jüngste Opfer war drei, das älteste 71 Jahre alt. Viele weitere wurden so schwer verwundet, dass sie monatelang im Krankenhaus behandelt werden mussten.
Wie am Montag bei der ersten Anhörung vor der Urteilsverkündung bekannt wurde, wollte der Attentäter bei seiner blutigen Attacke eine dritte Moschee angreifen. Nach den tödlichen Schüssen in der Al-Nur-Moschee im Stadtteil Riccarton und im Linwood Islamic Centre habe er zu einer Moschee in Ashburton, etwa eine Stunde südlich der Stadt, fahren wollen, sagte Staatsanwalt Barnaby Hawes. Er habe mehrere Waffen dabei gehabt und eigentlich auch geplant, die Moscheen in Brand zu setzen. Zuvor sei er aber von der Polizei gefasst worden.
Am ersten Tag der Anhörung wurden 24 Erklärungen verlesen. Einige der Opfer sprachen den Attentäter direkt an. Dieser zeigte im schwer bewachten Gerichtssaal keine sichtbaren Emotionen. Insgesamt wollen sich mehr als 60 Betroffene vor Gericht äußern.
Die Anschläge von Christchurch gelten als das bislang schwerste Gewaltverbrechen in der jüngeren Geschichte des Pazifikstaates. Bei der Urteilsverkündung will der Angeklagte auf Anwälte verzichten, wie im Juli bekannt wurde. Ihm droht eine lebenslange Haftstrafe, eventuell ohne Möglichkeit zu einer vorzeitigen Entlassung. Ein solches Strafmaß ist in Neuseeland bisher noch nie verhängt worden.
Um öffentlich übertragene Hassreden bei der Anhörung zu unterbinden, gibt es keinen Live-Stream aus dem Gerichtssaal. Lediglich für jene Angehörigen und Betroffenen, die nicht persönlich dabei sein können, gibt es eine Video-Übertragung.
Für ihren Umgang mit der Tat wurde vor allem Premierministerin Jacinda Ardern auch international viel gelobt. Die Tage danach war sie stets präsent, umarmte die Menschen, trug Kopftuch und fand die richtigen Worte. Auch ließ sie halbautomatische Waffen verbieten - und rief dazu auf, den Namen des Täters nicht mehr zu nennen: »Er wollte viele Dinge mit seinem Akt des Terrors erreichen. Eines davon war, berühmt zu werden. Deshalb werden Sie von mir niemals seinen Namen hören«, sagte sie. Man solle sich stattdessen an die Namen der Menschen erinnern, die ihr Leben verloren.
Am Wochenende war der Attentäter unter massivem Sicherheitsaufgebot mit einer Militärmaschine aus Auckland auf der Nordinsel, wo er bislang im Gefängnis saß, nach Christchurch auf der Südinsel geflogen worden. Bei der Urteilsverkündung will er auf Anwälte verzichten, wie im Juli bekannt wurde. Er wolle von seinem Recht Gebrauch machen, sich selbst zu vertreten. dpa/nd
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