Heiße Ware für den Osten

Die vor 30 Jahren gegründete »Superillu« wollte ein Blatt für die Empörten sein. Mit der Zeit wurde sie zum Gedächtnis der Alltagskultur des Ostens

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 5 Min.

Am 23. August 1990, keine sechs Wochen vor dem Beitritt der eilig wieder installierten fünf ostdeutschen Länder (die waren 1952 zugunsten der Bezirke aufgelöst worden) zum »Geltungsbereich des Grundgesetzes«, wie man es regierungsamtlich gern vollmundig ausdrückte, erschien die erste Nummer der »Superillu«. Die mediale Ramschkiste zur Entsorgung von vierzig Jahren DDR-Geschichte war eröffnet. Statt einer gemeinsamen neuen Verfassung fürs vereinigte Deutschland gab es nun grell-bunte Blätter aus dem Westen fürs post-revolutionäre Ostvolk.

Ostprodukte aller Art waren mit der Währungsunion schlagartig aus den Geschäften verschwunden, die Kaufhallen hießen nun Supermärkte, wie überhaupt allen eine Super-Zukunft verheißen wurde, mitsamt West-Gebrauchtwagen und Pornos für jedermann, nicht bloß für die »Bonzen« in Wandlitz!

Ja, im Stimmungsmachen verstand sich die »Superillu« gut, die gleich in ihrer ersten Nummer nicht nur »Die große Freiheit im Bett« versprach, sondern auch mutmaßte, dass Honecker für seine Memoiren Millionen bekäme. »Skandal« titelte die wachsame »Superillu« - und die in Sachen Skandaljournalismus naiven Ostler kochten vor Wut.

Wie hat man uns doch betrogen - um den freien Sex, den gebrauchten Golf und die Busreise nach Spanien. Aber jetzt ist sie da, die große Freiheit! Dieser neuen Freiheit zuzujubeln und die alten »Bonzen« zu hassen, die schuld an der langwierigen Unfreiheit seien, das war die Stimmung, die die »Superillu« in ihrer Anfangszeit mit anheizte. Schließlich war es ein von Hubert Burda erfundenes Medienprodukt, dass sich mit Präzision an seine Zielgruppe wandte: die vom Leben beleidigten Ostler.

Es funktionierte. Anfangs druckte man wöchentlich fast eine Million Exemplare - verkaufte die heiße Ware mitunter direkt vom Lieferwagen. Wer waren die Leser der »Superillu«? Vor allem jene, die im 89er-Herbst der Bürgerbewegung den Slogan »Wir sind das Volk« stahlen und daraus »Wir sind ein Volk« machten. Nicht gerade die intellektuellen Leuchten im Lande, sondern die Masse, die es zu lenken galt. Und das mit etwas gröberen Reizen, mal sentimental, mal tief empört.

Doch es dauerte nicht lange, da merkte noch der letzte Jubel-Ostler, dass die neue bunte Freiheit nicht kostenlos war. Massenarbeitslosigkeit, der Einmarsch der Westbeamten in die Verwaltung, die Enteignung des Volkseigentums mit Hilfe der Treuhand. Und die Tilgung der Alltagskultur des Ostens, die man im Westen ohnehin nicht kannte. Prominente Leute aus dem Osten mussten dem Westen erst verdolmetscht werden, in dem Stil: Dixi Dörner ist der Beckenbauer des Ostens. Im Westen interessierte das niemanden und im Osten wusste man, dass Dörner kein Beckenbauer, sondern eine Klasse für sich war.

So bekam die »Superillu« schnell ein existenzielles Problem: Der Jubel über die Segnungen des Westens war der Ernüchterung, gar der Wut über die Methoden der Vereinigung gewichen. Man nahm Boden und Immobilien, gab bunte Glasperlen dafür - das kennt man doch irgendwoher?

Also vollzog die »Superillu« eine rettende Kehrtwendung um 180 Grad und wurde zum Sprachrohr, mitunter sogar zum Rächer der authentischen Ostdeutschen, die nicht von Regina Thoss oder Dagmar Frederic lassen können. Weg mit dem Schmuddel, dafür mehr Ratgeber, Rätsel, Interviews und Ost-Provinzreports. Die Ostler aus der Unterhaltungsbranche, die sonst niemand mehr kennt, heißen nun konsequent »Stars«. Der Osten soll stolz auf sich sein. Ist das blanker Zynismus, um das wöchentlich in mittlerweile einer Auflage von 180 000 Stück erscheinende Blatt verkaufen zu können? Es scheint, dass tatsächlich ein Lernprozess in der Redaktion der »Superillu« stattgefunden hat.

Natürlich gab es im Osten 1990 sehr gute Zeitschriften, über die man sich auch heute noch in dem im Christoph Links Verlag erschienen opulenten Band »Zwischen ›Mosaik‹ und ›Einheit‹. Zeitschriften in der DDR« (Hg. Barck/Langermann/Lokatis) informieren kann. Bis auf »Das Magazin«, das bis heute seinem 1924 erfundenen Konzept eines unterhaltenden Kulturmagazins treu geblieben ist, wenn auch mit vergleichbar geringer Auflage, sind alle anderen Zeitschriften inzwischen längst Geschichte. Entweder, weil sie Konkurrenz zu Westprodukten waren - wie der »Sonntag« (der zum »Freitag« wurde und dabei viel an Charme verlor) oder die »Wochenpost«, die sich bis 1996 auf kluge Weise behauptete und dann dennoch von ihren Eigentümern abrupt stillgelegt wurde. Von der »Neuen Berliner Illustrierten« oder der »FF Dabei« nicht zu reden - hier waren wohl die Abonnentendateien das vorherrschende Objekt der Begierde.

Nun also ist das Westprodukt »Superillu« paradoxerweise zum Gedächtnis der Ost-Alltagskultur geworden und hat im Osten mehr Leser als »Spiegel«, »Stern« und »Focus« zusammen. Ab und zu kommen in den Heften auch Westler vor. Der Unterschied von Roland Kaiser zu Frank Schöbel ist schließlich so groß nicht.

Die deutsche Einheit vollzogen in den Grenzen der Folklore und des Kitsches? Nein, inzwischen ist das anders geworden. Im August etwa setzte man Wladimir Kaminer auf den Titel, unter der Überschrift »Was ich an den Deutschen liebe. Der russische Star-Autor im Interview«. Klingt immer noch ziemlich nach Boulevard, aber immerhin haben sich die Themen geändert. Ein Schwerpunktheft zu Potsdam folgte, das - in aller Widersprüchlichkeit - so etwas wie ein nobler Ort geworden ist.

Als Gojko Mitic achtzig wurde, kam er auf den Titel. Man scheint inzwischen einen sicheren Instinkt dafür zu haben, was man dem Leser im Osten anbieten sollte, eingedenk der dreißig Jahre Westerfahrung, die dieser inzwischen auch hat. Sogar dreiseitige Beiträge über Nietzsche, den Naumburger Philosophen von Weltrang, leistet man sich.

Das Schmierige und Ressentimenthafte der Anfangsjahre scheint verschwunden, denn das kam im Osten nicht gut an. So erzieht der Leser (Käufer!) nach und nach eben im besten Falle die Macher der Zeitschrift, die er lesen will. Vielleicht ist auch das ein Ostphänomen.

Ostalgie wäre das falsche Wort, wenn es darum geht, an die gelebten Erfahrungswelten der eigenen, zumeist nicht mehr jungen Leser anzuknüpfen. Immerhin, die »Superillu« hat gelernt, dass man die Zeitschrift nicht ungestraft ohne die eigenen Leser machen kann. Eigentlich eine simple Einsicht, aber eine überlebensnotwendige.

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