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Skandalisierung »der Guten«
Frédéric Valin examiniert die popkulturelle Shoa-Erinnerung
Darf man das? Die Frage stellt sich intuitiv, ist aber in der Regel unproduktiv. Zum Beispiel: Jugendliche auf dem Kurzvideodienst Tiktok schminken sich als Opfer der Shoa und spielen in kurzen Schmonzetten den Moment nach deren Tod in den Gaskammern, wenn sie in den Himmel kommen.
Trauma-Porno heißt das Phänomen, realen Schmerz zum Lustgewinn zu konsumieren oder zu produzieren. Je leidvoller die Erfahrung, desto größer der Effekt. Das Ergebnis ist oft genug Kitsch. Von der »Bild« bis Hollywood ist diese Herangehensweise seit langem Teil der heutigen Vergangenheitsaufarbeitung.
Die Amerikanistin Susanne Rohr hat in ihren Arbeiten zur popkulturellen Erinnerungskultur drei große Erzählsorten herausgearbeitet: die Dokumentation, wofür etwa Claude Lanzmanns emblematischer Film »Shoa« steht, die sogenannte Holocaust-Comedy (»La vita est bella«) und das epische Drama, dessen wichtigster Vertreter »Schindlers Liste« ist.
Bisher sorgte in erster Linie die Holocaust-Comedy für Skandale: Jakob der Lügner und seine Nachfolger. Zu fast allen diesen Werken finden sich Kontroversen über eine befürchtete »Banalisierung der Erinnerung«, die der Einzigartigkeit der Shoa nicht gerecht würde.
Die kurzen Filme auf Tiktok passen eher in die Kategorie episches Drama und haben auch in ihrer anrührenwollenden Unbedarftheit berühmte Vorläufer. Als 1978 die US-Serie »Holocaust« ins Fernsehen kam, sagte der sonst selten zu apodiktischen Urteilen neigende Schriftsteller Elie Wiesel, das sei eine aus kommerziellem Kalkül produzierte Seifenoper und »eine Beleidigung für alle, die ums Leben kamen«. Kann man heute wieder so drucken. Die Serie hatte auch in Deutschland großen Erfolg, fast die Hälfte der Bevölkerung sah sich das gefühlige Drama an. Der Spiegel titelte damals: »Der Judenmord bewegt die Deutschen.« Ein Glück gab’s da noch kein Tiktok.
Die Frage ist also gar nicht, ob die Videos gut gemacht sind und was sie so sagen wollen. Das Tiktok-Phänomen erzählt nichts über den Holocaust, es geht ausschließlich um das Selbstbild der Teilnehmenden. Interessant ist die Tatsache, dass - analog zum Deutschland der 1970er - sich die Jugendlichen (teils weil sie selbst Juden und Jüdinnen sind) mit den Verfolgten identifizieren, also das sind, was Ulrike Jureit »gefühlte Opfer« nennt. Deren Selbstinszenierung als »die Guten« - man könnte es victim washing nennen - hat jetzt Potenzial zu Skandalisierung. Das ist eine gute Nachricht, denn das bedeutet, dass ein solches Thema zu bearbeiten nicht mehr geht, ohne die eigenen Verstrickungen und versteckten Absichten offenzulegen. Die Kritik daran, nicht die Filme, sind der Fortschritt.
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